So viele Touristen töten wie möglich

Keine islamistischen Gewalttäter, sondern ein Verrückter soll für den Anschlag auf den Touristenbus in Kairo verantwortlich sein. Sagt die Regierung. Manche glauben das nicht  ■ Aus Kairo Karim El-Gawhary

Noch immer herrscht Unklarheit über die genauen Motive und den Hintergrund der Täter, die für den Anschlag auf einen Bus mit deutschen Touristen in Kairo verantwortlich sind. Bei dem Anschlag waren am Donnerstag neun Deutsche und ein Ägypter ums Leben gekommen.

Die ägyptischen Behörden verbreiten inzwischen die Version, es handele sich um verwirrte Einzeltäter. „Das bedauernswerte Verbrechen war im Gegensatz zu den Berichten einiger Medien und ausländischer Agenturen kein terroristischer Akt“, sagte Informationsminister Safuat el Scherif gestern im Fernsehen. Einer der beiden Festgenommenen habe bei seinem Verhör zu Protokoll gegeben, keiner militant-islamistischen Gruppe anzugehören. Er habe nicht speziell auf Deutsche gezielt, sondern so viele Touristen wie möglich umbringen wollen, so daß ihm der volle Bus am attraktivsten erschien.

Nach Angaben des Innenministeriums handelt es sich bei diesem Attentäter um Saber Muhammad Farahat. Der ist den Behörden durchaus kein Unbekannter. Schon im Oktober 1993 hatte er in einem Kairoer Fünf-Sterne-Hotel das Feuer auf eine Gruppe von Touristen eröffnet. Fünf Ausländer starben in dem Kugelhagel. Farahat wurde anschließend in eine Nervenklinik eingewiesen, von wo er nach Informationen des Innenministeriums vor wenigen Tagen geflohen war. Andere Quellen sprechen auch davon, er sei regulär entlassen worden. Der Direktor des Krankenhauses wurde inzwischen gefeuert.

In der Oppositionspresse werden unterdessen erste Zweifel an dieser Version angemeldet. „Wir würden das gerne in unserem Herzen glauben, aber es sind zu viele Fragen offen“, schreibt die Tageszeitung Al-Wafd und stellt anschließend Fragen: Wer hat Farahat zur Flucht verholfen, wer hat ihm die Waffen beschafft? Wenn einer der beiden Täter geistesgestört war, bleibt unklar, warum dessen Bruder ebenfalls an der Tat teilgenommen hat.

So gehen denn viele davon aus, daß der Anschlag zumindest mit logistischer Hilfe der militanten Islamisten, der sogenannten Gama'at al-Islamiya, durchgeführt wurde. Dagegen spricht, daß es bisher kein Bekennerschreiben gibt. Der letzte Anschlag der Gama'at auf Touristen liegt über ein Jahr zurück. Damals zielte die Gruppe aber nicht willkürlich auf Touristen, sondern hatte, wie sie anschließend in einem Bekennerschreiben zugab, eine Gruppe griechischer Touristen für Israelis gehalten.

Nachdem die Gruppe in ihren Anfangsjahren oft Touristen zum Ziel hatte, um damit die Achillesferse des Staates zu treffen, wurden diese Anschläge in der letzten Zeit seltener – sie waren zu unpopulär. Möglich ist, daß die Gruppe nun wieder zu ihrer alten Methode zurückgekehrt ist, als Antwort auf einen spektakulären Massen-Militärgerichtsprozeß, bei dem Anfang dieser Woche 72 Mitglieder von Gama'at al-Islamiya verurteilt wurden, vier davon zum Tode und acht zu lebenslänglichen Strafen.

Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen wurden in den letzten fünf Jahren 78 militante Islamisten in meist äußerst dubiosen Militärgerichtsverfahren zum Tode verurteilt, 54 von ihnen wurden bereits hingerichtet. Erst vor wenigen Wochen hat der Innenminister Hassan Al-Alfi ein Waffenstillstands-Angebot der Führung der Gruppe aus dem Gefängnis abgelehnt. Statt dessen hatte Al-Alfi nur einen Tag vor dem Anschlag auf die deutschen Touristen vollmundig verkündet, die Sicherheitslage sei im ganzen Land stabil.

Unterdessen ging es am Ort des Anschlags auf die deutschen Urlauber, dem Tahrir-Platz, gestern relativ gelassen zu. Die meisten Ägypter waren wie üblich vor dem Freitagsgebet zu Hause geblieben. Es herrschte feiertägliche Ruhe. Der Parkplatz vor dem Pharaonischen Museum allerdings wimmelte von Polizei.

Die Stimmung unter den Touristen, die sich an diesem Morgen unerschrocken ins Museum wagen, ist gelassen. Ein bißchen Schiß habe er schon, aber andererseits sei jetzt auch für genügend Sicherheit gesorgt, erklärt der 58jährige Gerhard Niemeyer aus Thüringen. Ein belgischer Tourist gibt sich eher fatalistisch. „Das hätte überall passieren können“, sagt er, jeder könne zur falschen Zeit am falschen Ort sein.

Boris Schäfer aus Heidelberg hat von der ganzen Geschichte gestern erst zufällig durch einen Anruf nach Deutschland erfahren. Er scheint nicht weiter abgeschreckt: „Das war ein Anschlag und keine Anschlagsserie. Das kann überall passieren.“ Als Ausländer würde er sich in Deutschland wahrscheinlich wesentlich bedrohter fühlen. Ob er nach seiner jetzigen Erfahrung anderen raten würde, nach Ägypten zu fahren, kann er nicht sagen: „Das muß am Ende jeder für sich entscheiden.“ Kommentar Seite 10