Aus dem Kirchenasyl zur Abschiebung

■ In Niedersachsen beendete die Innenbehörde ein Kirchenasyl mit Polizeigewalt. Feuerwehr holte Vater vom Dach eines evangelischen Gemeindegebäudes

Hannover (taz) – Das Land Niedersachsen hat erneut gewaltsam das Kirchenasyl gebrochen. Eine kurdische Flüchtlingsfamilie, die seit neun Jahren in Deutschland gelebt hatte, wurde gestern morgen aus der Obhut der evangelischen Kirchengemeinde in Uchte im Landkreis Nienburg direkt zur Abschiebung zum Frankfurter Flughafen vefrachtet.

Nach Angaben der Pastorin drangen gestern um 6.20 Uhr ein Einsatzkommando der Polizei Nienburg und Mitarbeiter des dortigen Ausländeramtes in das Kirchengebäude ein, in dem das kurdische Ehepaar Demir seit Ende Juli Asyl gefunden hatte. Die Haustür des Gemeindegebäudes sei nach Klingeln der Beamten geöffnet worde. Die Tür zu den Räumen des Ehepaares habe die Polizei dann jedoch aufgebrochen, sagte Pastorin Susanne Briese-Roth.

Herr Demir sei daraufhin in Panik durch ein Fenster auf das Dach des Gebäudes geflohen, bis zur Regenrinne geklettert und habe gedroht, sich eher herunterzustürzen, als sich in die Türkei abschieben zu lassen. Erst gegen acht Uhr habe die Feuerwehr den verzweifelten kurdischen Flüchtling mit Hilfe eines Rettungskorbes von Dach holen können. Zwischenzeitlich sei Herr Demir, unter dem ein Sprungtuch aufgespannt gewesen sei, auch mit einem Feuerwehrschlauch bespritzt worden.

Das Innenministerium in Hannover rechtfertigte gestern den Bruch des Kirchenasyls mit dem Hinweis, man respektiere zwar, wenn Flüchtlinge in Kirchen Zuflucht suchten, das kurdische Ehepaar habe jedoch im Kita-Gebäude der Gemeinde gewohnt. Dagegen wies Pastorin Briese-Roth darauf hin, daß das Asyl in dem Gemeindegebäude „sowohl vom Landkreis Nienburg, der Bezirksregierung Hannover als auch dem Landesinnenministerium seit dem 27.7. ohne Wenn und Aber respektiert“ worden sei.

Zusammen mit dem Ehepaar sollten gestern auch deren sechs Kinder abgeschoben werden, die – zum Teil in der Bundesrepublik geboren – bei einem Onkel untergebracht waren. Nach der Ablehnung eines Asylantrages drohte der Familie seit April die Abschiebung. Ein dauerndes Bleiberecht wurde dem Ehepaar trotz des 9jährigen Aufenthalts nicht gewährt, weil die Familie auf Sozialhilfe angewiesen war. Nach Angaben der niedersächsischen Landtagsgrünen war die Familie zwischenzeitlich in die Türkei zurückgekehrt, dort aber massiv bedroht worden.

Bei Kämpfen zwischen türkischen Sicherheitskräften und der PKK hätten bereits drei Verwandte des Ehepaares das Leben verloren. Ein Bruder sei erst kürzlich in der Türkei zu 36 Jahren Haft verurteilt worden. Jürgen Voges