■ Normalzeit
: Folgendes hat sich zugetragen:

Man zeigt mir in der taz ein rotes Buch mit dem Untertitel „Ein Lehrbuch für Russischsprechende“: Hast du Lust, dich damit zu befassen? Schon lange will ich Russisch lernen und greife deswegen freudig zu. Erst später sehe ich, daß es „Deutsch in 10 Tagen“ heißt – also genau das falsche ist. Zum Buch gehört noch ein „Rundbrief an die Medien“, in dem die in Köln lebende Autorin und Besitzerin der Verlagsbuchhandlung Kniga, Evgenija Baumann, ihr Leid mit dem Lehrbuch klagt: Sie hätte Anfang 1993 dem lettischen Verleger Jurij Schwanders das Manuskript gegeben, dazu 3.000 Mark und dann nichts mehr von ihm gehört. Ende 1993 verlegte sie das Buch deswegen selbst. Dann teilte ihr der Lette jedoch mit, er habe 10.000 Exemplare – der unkorrigierten Vorlage – drucken lassen. Man einigte sich: Er wollte nur einen kleinen Teil der Auflage verkaufen, der Rest sollte vernichtet werden. Damit war die Sache für Frau Baumann erledigt, aber dann bekam sie immer mehr Dankesbriefe von Lesern ihres Buches – aus verschiedenen GUS-Ländern, „sogar aus der Mongolei“. Nicht nur waren anscheinend sämtliche Rigaer Exemplare inzwischen auf den Markt gelangt, es schienen inzwischen sogar noch „Raubkopien“ davon angefertigt worden zu sein. Solche wurden 1997 sogar in einem Berliner russischen Buchladen angeboten. Frau Baumann verklagte daraufhin den Händler. Dabei erfuhr sie, daß es auch so etwas wie einen „Raubvertrieb“ gab, über den zum Beispiel russische Zeitschriften ohne deren Wissen in Deutschland verkauft wurden. Ich zeigte den Brief von Frau Baumann einer russischen Buchhändlerin in Berlin. Sie meinte, daß es inzwischen sogar – wahrscheinlich von den deutschen Fachbuchverlagen selbst hergestellte – billige russische „Volksausgaben“ gäbe, die gelegentlich ebenfalls nach Berlin gelangen würden. Was für ein Durcheinander! Frau Baumanns Brief an die Medien endete mit den Worten: „Ich brauche Ihre Hilfe! Lassen Sie mich bitte nicht im Stich! Durch die Einwanderung vieler meiner Landsleute ist auch der Handel aus Rußland mit allen möglichen Artikeln sehr lebendig geworden.“ Dem stimmte die russische Buchhändlerin sofort zu, sie riet mir jedoch, dem letzten Satz nicht weiter auf den Grund zu gehen: „Das ist alles Mafia, da können Sie sich nur ein blaues Auge holen, mehr nicht. Was für einen Sinn hat das?“ Ich wußte es auch nicht so genau in dem Moment, und sowieso war ich früher selbst ein beinharter Anhänger des Raubdruckwesens und war es im Grunde noch.

Ich schrieb deswegen Evgenija Baumann, daß ich 1. ihren „Fall“ wie gewünscht veröffentlicht hätte und daß ich 2. an ihrer Stelle stolz darauf wäre, wenn man bis weit nach Sibirien, Kasachstan und den Kaukasus hinein Raukopien meiner Texte auf den Wochenmärkten für ein paar Kopeken anbieten würde: „Was früher der Samisdat war, ist heute vielleicht der geistige Diebstahl!“ Auch die vielen freundlichen Leserbriefe hätte sie nie bekommen, wenn nicht irgendwelche Raubdrucker und Händler quer durch die GUS mit ihrem Lehrbuch ein Geschäft zu machen versucht hätten. 3. fiel mir noch – als weiteres Positivum – Burma ein: „Wer dort heute in einem der vielen Buchläden kein handgebundenes Xerox-raubkopiertes Exemplar eines Buches kauft, sondern die Originalausgabe, gilt schnell als besonders schuftiger Neureicher!“ Anständige burmesische, aber auch ausländische Leser würden in jedem Fall und immer den Raubdruck bevorzugen. Ein bißchen gelte das selbst hierzulande noch, wo mir zum Beispiel die Bremer Universitätsbibliothek noch Ende der Siebziger geradezu Traumpreise für meine gesammelten Raubdrucke aus der Studentenbewegung gezahlt hatte. Mit freundlichen Grüßen ... Helmut Höge

wird fortgesetzt