■ Schlimmer geht's immer: Der ganz große Leidensbericht
: Schaltwerk Mitte hat ein Problem

Als ich noch jung war, habe ich hin und wieder meine Sachbearbeiterin bei der Telekom – damals: Deutsche Bundespost – aufgesucht. In immer nervenaufreibenden, aber nie langweiligen Gesprächen ging es darum, meinem „Antrag auf Bereitstellung eines Telefonanschlusses“ eine gewisse Dringlichkeit zu verleihen. Mal hatte ich eine totkranke Mutter, dann gab ich mich als freier Journalist aus. Sogar ein Gewerbe im CAD-Bereich habe ich angemeldet, um an den begehrten Titel „Bevorzugt zu behandelnder Geschäftskunde“ ranzukommen.

Genutzt hat das alles nichts, und Jahre später lag ich deswegen auch noch im Clinch mit dem Finanzamt. Als mein Frollein dann damit anfing, ihr Schild „Schalter nicht besetzt“ zu zücken, sobald ich die Halle betrat, habe ich aufgegeben. Ich fügte mich also und wartete, meistens vor besetzten Telefonzellen. Jahre.

Dabei standen meine Chancen im Herbst 1992, dem Zeitpunkt meines Antrages, recht gut. In meiner Wohnung in Berlin-Mitte gab es schon eine Anschlußbuchse, und im Keller verbarg sich ein Verteiler der Deutschen Post. Eine Zeitlang stand in der leerstehenden Wohnung gegenüber sogar eines jener legendären Schwarztelefone. Das hatte sich aber schnell herumgesprochen, und vor allem zu Muttertag und Weihnachten standen sich die Autonomen aus den umliegenden besetzten Häusern in meinem Treppenhaus auf den Füßen herum.

Der Mangel an freien Leitungen blieb das Lieblingsargument der freundlichen Dame vom Amt, um mich abzuwimmeln. Daneben tauchten hin und wieder auch „mangelnde Kapazitäten“ im Schaltwerk Mitte oder die „bevorzugte Vergabe an Unternehmen wegen des Aufbaus Ost“ auf. Es war jedenfalls absolut unmöglich, auch nur eine vage Terminzusage zu bekommen. Nun, ich wartete.

Bis dann nach schlappen viereinhalb Jahren plötzlich alles sehr schnell ging: Im März erhielt ich – „Vielen Dank für Ihren Auftrag“ – endlich die Terminzusage: Der 3. April sollte für mich, der ich ja in der Zwischenzeit ein oder zwei Revolutionen im Telekommunikations- und Gebührenwesen verschlafen hatte, den Wiedereintritt in das große „Ich-spreche-dir-mal- wieder-auf-den-AB“-Spiel markieren.

Aber im Grunde hatte ich das ja all die Jahre schon geahnt: Selbstverständlich ist mein Haus inzwischen rückübertragen, verkauft, entmietet und die Sanierung vorbereitet worden. Ich hatte als einer der letzten gerade einen Mietvertrag für eine Umsetzwohnung unterschrieben. Umzug zum 15. April. Heidewizka, mein lieber Herr Gesangsverein, das sind Perspektiven: 12 volle Tage ein eigenes Telefon! Meine etwas naive, aber durchaus ernstgemeinte telefonische Anfrage, ob es in Anbetracht der Umstände aus Kulanzgründen möglich sei, zumindest den alten Antrag umzumelden, um in den Genuß der früheren Anschlußgebühr von 65 Mark zu kommen, wurde abschlägig beschieden: „Bei Umzug gilt der alte Antrag als zurückgezogen“, quäkte es mir aus dem Hörer ins Ohr, „damit kommen auf Sie Kosten in Höhe von 100 DM Anschlußgebühr“ – jetzt kommt's – „plus 50 DM Auftragsrückzuggebühr für den Altantrag zu, insgesamt 150 DM.“ Immer eine Nasenlänge voraus, diese Lümmel.

Auch in meiner neuen Wohnung, die ebenfalls im Zukünftigenregierungsbezirkmittederweltstadtberlin liegt, habe ich bis heute kein Telefon. Die sympathische Stimme vom Amt entschuldigt sich und haucht mir ein „Leitungsmangel“ zu. Ich denke derweil an die ersten grauen Haare, die ich kürzlich an mir entdeckt habe. Heino Güllemann