Ein Lächeln in der Stadt

Mit 20 kickte Lars Leese als Mittelfeldspieler in der 3. Kreisliga Köln, mit 28 ist er Torwart beim FC Barnsley in der englischen Premier League  ■ Aus Barnsley Ronald Reng

Als Lars Leese eines Nachmittags durch die Stadt spaziert, sieht er ein Plakat, auf dem steht: „Demnächst hier Neueröffnung eines Reisebüros. Mit Ehrengast Lars Leese.“ Und Leese denkt sich: „Mein Gott, da kommt doch kein Schwein.“ Als Auswechseltorwart hatte ihn der englische Premier- League-Aufsteiger FC Barnsley in diesem Sommer von Bayer Leverkusen verpflichtet, „und jetzt stell' dir mal vor“, sagt Leese, „der Ersatzkeeper eines deutschen Bundesligavereins würde ein Reisebüro einweihen. Die Leute würden sich denken: ,Da haben sie mal wieder den Billigsten genommen‘ –, und der Torwart würde allein im Geschäft hocken bleiben.“ Als Lars Leese in Barnsley zur verabredeten Werbeaktion erscheint, ist die Luft im Reisebüro abgestanden, so viele Leute drängeln sich da. „Nur um zu schauen, wie ich so eine doofe Schärpe durchschneide“, sagt Leese, „ich war richtig gerührt.“

Allein die Tatsache, daß er aus Deutschland kommt und 1,97 Meter groß ist, reichte aus, die Leute in Barnsley für Leese zu begeistern. Zum erstenmal in der 110jährigen Vereinshistorie spielt der kleine Provinzverein aus dem englischen Kohlenpott in der Premier League, und die Ankunft von Leese war für viele in der Stadt zwischen Leeds und Sheffield das Signal, daß man nun wirklich zu den Großen gehört; jetzt, wo man sogar einen riesigen Torwart aus dem Land des Europameisters verpflichten kann. Dabei hatte Leese in Wirklichkeit bis dato mit einem Europameister noch weniger gemein als Barnsley mit der Premier League.

Als 16jähriger stand er einst in der Jugend beim Bundesligisten 1. FC Köln im Tor, hatte dann aber „keinen Bock mehr“. Mit 20 spielte Lars Leese nur noch für einen Klub namens BC Efferen in der 3. Kreisklasse, achte Liga – als Mittelfeldspieler. Dann suchte „ein ehemaliger Hausmeister von mir“ einen Torwart für sein Team, und Leese wechselte. Er blieb zwar immer noch in der Kreisliga, aber begann einen kuriosen Weg, auf dem er mit 27 wurde, „was man in dem Alter eigentlich nicht mehr wird“: Profi. Ein Jahr als dritter Torwart in Leverkusen, „und paff“, sagt Leese, „jetzt spiele ich in England“. Tony Woodcock, der einst für den 1. FC Köln angriff und noch immer in der Stadt wohnt, hatte Leese in seinem Heimatland empfohlen.

Mag Lars Leese demnach nicht ganz der Star sein, für den sie ihn in Barnsley halten, so hätte der Verein aus Yorkshire doch keinen Torwart der Welt verpflichten können, der besser zu ihm passen würde. Derselbe jugendliche Überschwang, der Barnsley mit dem einmaligen Aufstieg erfaßt hat, treibt den inzwischen 28jährigen an. Begeistert erzählt Leese von seinem Leben als Held in einer Kleinstadt, wo vor seinem Haus regelmäßig die Kinder des Ortes herumlungern, um ihr zehntes oder zwanzigstes Autogramm vom großen Torwart zu ergattern. „Ich genieße das“, sagt Leese, „ich bin doch froh, wenn mich mal jemand erkennt.“

Der erste Höhepunkt seiner unerwarteten Karriere wäre für Leese allerdings fast zuviel gewesen. Im vierten Saisonspiel gegen die Bolton Wanderers saß der Deutsche wie gewohnt auf der Ersatzbank, „richtig cool, ich wollte mir einen schönen Nachmittag machen“ – doch auf einmal lag Barnsleys erster Torwart verletzt am Boden. „Das war ein Gefühl wie Bungee-Jumping verkehrt herum“, sagt Leese, „plötzlich mußt du da rein, ohne Aufwärmen, nichts. Ich habe vor lauter Aufregung nicht einmal meine Schuhe schnüren können.“

Aber es ging alles gut, Leese kassierte kein Tor, Barnsley siegte 2:1, und beim folgenden Match in Derby, das Leese vollständig bestritt, erklärte ihn sogar der gegnerische Trainer zum besten Spieler auf dem Platz. „Da habe ich eine Flanke quasi unter dem Stadiondach runtergeholt“, sagt Leese, „unser Mannschaftskapitän fragte mich am nächsten Morgen, ob ich im Gewächshaus übernachtet hätte.“

Den vergangenen Samstagnachmittag verbrachte Leese zum erstenmal nach vier Einsätzen wieder auf der Auswechselbank, David Watson, die Nummer eins, war wieder gesund. Barnsley verlor in Everton mit 2:4, zum fünften Mal in bislang sieben Partien. Auf den Spielfeldern der Premier League wirkt die jugendliche Begeisterung der Mannschaft oft wie Naivität. Doch noch immer „ist ein Lächeln in der Stadt“, bemerkt Michael Spinks, der Geschäftsführer des FC.

Als Barnsley im Heimspiel gegen den FC Chelsea munter nach vorne stürmt und sich hinten die Tore einfängt, singen beim Stand von 0:6 die 18.000 Leute im ausverkauften Stadion: „Wir gewinnen 7:6“. Das klappt nicht mehr ganz, aber die Mannschaft marschiert nach der 0:6-Niederlage unverdrossen in eine Bar in der Innenstadt. „In Deutschland“, weiß Leese, „würdest du dich nach so einer Abfuhr zu Hause einschließen aus Angst vor Pöbeleien.“ In Barnsley, lernt er, gibt es ganze andere Probleme: „Wenn du in die Kneipe gehst, bist du nach einer Stunde besoffen, weil jeder dir zum Trost unbedingt ein Bier spendieren will.“