Ein Touch von Abgeklärtheit

Vom theatralischen Mehrwert eines Dokumentardramas über Verbrechensbekämpfung in den USA – im Staatstheater Hannover wurde das Ein-Frau-Stück „Twilight – L.A., 1992“ von Anna Deavere Smith aufgeführt  ■ Von Jürgen Berger

Der Zufall wollte es, daß am vergangenen Freitag, dem Tag der deutschen Erstaufführung von Anna Deavere Smiths „Twilight Los Angeles“ in Hannover, der gesamtdeutsche und niedersächsische Innenminister ein Problem miteinander hatten. Der aus Niedersachsen wollte den Gesamtdeutschen beim Wort nehmen und das amerikanische Modell der Verbrechensbekämpfung in der Modellstadt Hannover einführen, wozu der Bund Kräfte des Bundesgrenzschutzes bereitstellen sollte.

Pech, daß der gesamtdeutsche Kanther keine Kräfte entbehren konnte und das amerikanische Modell einer starken Polizeipräsenz inklusive hartem Durchgreifen, das derzeit in New York „schlagend“ erfolgreich sein soll, bei uns vorerst auf Eis liegt. Und das, obwohl eine andere Meldung, kurioserweise vom gleichen Tag, von hochmotivierten deutschen Sicherheitsbeamten berichtete: Grenzschützer waren dem internationalen Zigarettenschmuggel durch direkte Vorort-Recherche auf die Schliche gekommen – indem sie selbst schmuggelten.

In Hannover hätten sie lediglich ins Theater gehen müssen, um einen Eindruck von unorthodoxer Verbrechensbekämpfung und der „Befriedung“ ganzer Regionen mittels zupackendem Law and Order zu bekommen. In „Twilight L.A., 1992“ geht es um den Fall des Schwarzen Rodney King, den Polizisten ausgiebig mit Schlagstöcken behandelten. Vor Gericht wurden sie freigesprochen, obwohl Videoaufnahmen belegten, daß sie King brutal verprügelt hatten.

Nach dem Urteil kam es 1992 zu den gewälttätigsten Rassenunruhen in der Geschichte der USA. Die Autorin, Schauspielerin und Performance-Künstlerin Anna Deavere Smith reagierte schnell und fing in über 200 Interviews Stimmungen und Befindlichkeiten in Los Angeles ein, die sie zu einem One-Woman-Theaterabend zusammenstellte.

Deavare Smith spielte selbst und schlüpfte übergangslos in unterschiedliche Rollen wie die einer schwarzen Kongreßabgeordneten, eines Hollywood-Produzenten oder einer koreanischen Geschäftsfrau, deren Geschäft nach einer Plünderung ausgebrannt war. Wo sie auftrat, mußte man sich lange nach Karten anstellen, da sie durch ihr neue Form dokumentarischen Theaters unter dem Titel „On the road: A search for american charakter“ bereits eine Größe im linksliberalen Spektrum der USA war.

An der Form ihres Theaterabends konnte und wollte Regisseur Manfred Weiss, der die Vorlage auch übersetzte, nichts ändern. Die Frage war eher, inwieweit die Interviews abseits ihres dokumentarischen Werts theatralischen Mehrwert haben. Die Antwort gab die Schauspielerin Caroline Schreiber, die den Figurenwechsel ohne Betroffenheits- oder Anklageattitüden spielte und nebenbei kleine Charakterstudien ablieferte.

Wie zum Beispiel gibt sich die schwarze Kongreßabgeordnete Maxine Waters bei ihrer Rede in der First African Methodist Episcopal Church, von der die Proteste und Unruhen ausgingen? Caroline Schreiber spielt eine Frau mit der Haltung und Gestik eines Predigers, der jede Bewegung vor ihrer Klientel zur kalkulierten politischen Aktion wird. „Wir wissen, daß man nicht stehlen darf, aber die Zeiten sind so“, sagt sie und könnte wohl kaum mit Zustimmung von seiten Sergeant Charles Dukes rechnen, säße er im Publikum.

Daß Anna Deavere Smith den Experten aus der Waffen- und Taktik-Spezialeinheit des L.A. Police Departement zum Sprechen brachte, ist eine der kleinen Meisterleistungen im Interview-Potpourri. Caroline Schreiber spielt einen von der Front des polizeilichen Straßenkampfes in die Theorieabteilung gewechselten Grandseigneur des Schlagstocks, der dank seines mechanistischen Weltbildes eine in sich stimmige Analyse für die King-Prügelorgie liefert: Hätten die politisch Verantwortlichen der Polizei nicht die Oberkörperkontrollgriffe verboten, die zur sprunghaften Zunahme von Todesfällen während Routinekontrollen führten, hätte Rodney King nicht so ineffektiv minutenlang verprügelt werden müssen. Den effektivsten „Oberkörperkontrollgriff“ kennt man bei uns unter dem Namen „Schwitzkasten“. Unter Umständen kann er tödlich sein.

Auf der anderen Seite des Spektrums fing die amerikanische Theaterfrau immer wieder die Lässigkeit und den Sprachwitz Jugendlicher ein. Manfred Weiss wählte für das Finale seiner Inszenierung den Monolog von Twilight Bey, Gang-Mitglied und Organisator des Waffenstillstands unter den Banden.

Deavere Smith traf sich mit ihm im Denny-Restaurant eines Einkaufszentrum. Twilight Bay gab aus dem Stegreif eine poetisches Credo des Straßenkids zu Band: „Twilight ist die Zeit zwischen Tag und Nacht. Limbo, ich nenne es Limbo. Also fühle ich mich manchmal, als ob ich im Limbo stecke... Aber ich verbinde nichts Negatives mit der Dunkelheit. Ich verbinde Dunkelheit mit dem, was zuerst kam, weil es zuerst da war und es mit meiner Hautfarbe zu tun hat.“ Caroline Schreiber spricht das ohne große Emotion und gibt dem Limbo- Künstler einen Touch von Abgeklärtheit.

Anna Deavare Smith: „Twilight – Los Angeles, 1992“. Regie: Manfred Weiss. Ausstattung: Dietrich von Grebmer. Mit Caroline Schreiber. Staatstheater Hannover