HIV im Menschenversuch

■ In den USA wollen sich Freiwillige ein Aidsvirus light ins Blut spritzen lassen

Berlin (taz) – Erstmals wollen sich Menschen eine abgeschwächte Form des HI-Aidsvirus in die Blutbahn spritzen lassen. Mit der spektakulären Selbstinfektion soll die seit Jahren stagnierende Entwicklung eines Impfstoffs gegen HIV vorangebracht werden. Charles Farthing, medizinischer Direktor der Stiftung „Aids- Healthcare“ in Los Angeles, will den Versuch leiten und damit „Millionen von Leben“ retten. „Jeder Tag, den wir bei der Entwicklung von Vakzinen verlieren, hat viele vermeidbare Todesfälle und Leid für Tausende zur Folge“, sagte Farthing. „Es ist Zeit, Louis Pasteur, Walter Reed und Hunderten von Ärzten zu folgen, die sich selbst als erste menschliche Wesen an solch kritischen Versuchen beteiligt haben.“

Zu den rund 50 Freiwilligen gehören vor allem Ärzte, aber auch Anwälte, die von der Internationalen Ärzte-Vereinigung „Physicians in Aids-Care“ (IAPAC) angeworben wurden. Gordon Nary, der Sprecher der Freiwilligengruppe, sagte, die Risiken für das eigene Leben würden gegenüber dem möglichen Nutzen und Erkenntnisgewinn verblassen. Das Risiko, das die Versuchspersonen auf sich nehmen, ist tatsächlich beträchtlich, die Folgen sind schwer kalkulierbar. Erst viele Jahre später werde sich zeigen, ob sie erkranken oder ob ihr Immunsystem mit der abgeschwächten Variante von HIV fertig geworden ist, sagte gestern Uli Marcus vom Robert- Koch-Institut in Berlin.

Hintergrund des Menschenversuchs sind Beobachtungen an Langzeitüberlebenden. Virologen haben unter ihnen eine Gruppe von HIV-Infizierten entdeckt, die einen wenig aggressiven, abgeschwächten Stamm von Aidsviren in sich tragen. Diese Personen sind weitgehend gesund geblieben und haben in ihrem Blut kaum noch nachweisbare Mengen des Aidsvirus. Der entscheidende Punkt: In mindestens einem Fall konnten die Forscher nachweisen, daß dieses abgeschwächte Virus einen ausreichenden Schutz vor weiteren Infektionen mit womöglich aggressiveren HIV-Stämmen bot. Ist das Aidsvirus light also eine wirksame Abwehrwaffe, die wie ein Impfstoff funktioniert? Auch im Versuch mit Menschenaffen wurde diese Theorie bestätigt.

Studienleiter Farthing erklärte, es dürfe keine Zeit mehr mit „unnötigen, teuren und zeitraubenden“ Versuchen an Primaten verloren werden. Er will jetzt eine Genehmigung für seinen Versuch mit Freiwilligen beantragen. Notfalls, so Farthing, soll das Experiment auch ohne Genehmigung durchgeführt werden. Dies sei möglich, wenn es auf einen Bundesstaat beschränkt bleibe oder in Europa stattfinde. Manfred Kriener