Serbiens Sozialisten in Führung

Der Boykottaufruf der Opposition ist gescheitert. Milošević' Kandidat für die Präsidentschaft liegt in Führung. Aber die Ultranationalisten von Šešelj verzeichnen Stimmengewinne  ■ Aus Belgrad Andrej Ivanji

Trotz aller Kritik am Verlauf des Wahlkampfes waren die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Serbien am vergangenen Sonntag „ehrlich und demokratisch“. Dies teilte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die 156 Beobachter entsandt hatte, gestern mit. Mit dem endgültigen Ergebnis wird für den Mittwoch gerechnet.

Eines jedoch steht schon fest: Der Wahlboykott, zu dem zwölf Oppositionsparteien aufgerufen haben, ist mißlungen. Die Wahlbeteiligung liegt bei gut 60 Prozent. Von den restlichen 40 Prozent sind ein Drittel Kosovo-Albaner, die ohnehin keine Wahlen in Serbien anerkennen und sich daher auch nicht daran beteiligen, ein weiteres Drittel Bürger, die sowieso nie an die Urnen gehen.

Nach Auszählung von 80 Prozent der Stimmen liegen die regierenden Sozialisten des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević trotz Verlusten in Führung. Bei den Präsidentenwahlen führt der Kandidat Milošević', Zoran Lilić, mit 38,9 Prozent. An zweiter Stelle liegt der ultranationalistischen Radikalenführer Vojislav Šešelj mit 28,6 Prozent. Anscheinend abgeschlagen folgt der Vorsitzende der ehemals oppositionellen „Serbischen Erneuerungsbewegung“ (SPO), Vuk Drašković, mit 22,9 Prozent auf dem dritten Platz. Wenn kein Kandidat die absolute Mehrheit erreicht, wird es am 5. Oktober zu einer Stichwahl zwischen Lilić und Šešelj kommen. Der Ausgang wird von der Empfehlung abhängen, die Drašković seinen Anhängern gibt. Bei den Parlamentswahlen zeichnet sich ab, daß die seit 1990 regierenden Sozialisten von Slobodan Milošević möglicherweise keine absolute Mehrheit erreichen werden und, obwohl sie auch weiterhin die stärkste Partei im Lande bleiben, einen nicht unbedingt bequemen Koalitionspartner finden müssen. „Wenn es zu keinen nachträglichen Wahlmanipulationen kommt!“ warnen bereits die Oppositionsparteien.

In Belgrad wird derzeit über eine Koalition zwischen den Milošević-Sozialisten und der Erneuerungsbewegung von Drašković spekuliert oder, anders gesagt, zwischen den „Monarchisten“ und den „Neokommunisten“. Sechs Jahre lang hat Drašković alle Massendemonstrationen gegen Milošević angeführt, und einmal ist er von der Polizei fast zu Tode geprügelt worden.

Die Frage des Wahlboykotts hatte zum Bruch des Oppositionsbündnisses „Zajedno“ (Gemeinsam) geführt, das im Winter täglich gegen das Regime auf die Straße gegangen war. Während Drašković sich an den Wahlen beteiligte, befürworteten der Belgrader Bürgermeister Zoran Djindjić von der Demokratischen Partei und Vesna Pesić vom Bürgerbund einen Boykott. Begründung: ein Zuschnitt der Wahlkreise, der die Sozialisten begünstige, und die staatlich kontrollierten Medien, die der Opposition keine Chance geben würden. Djindjić und Pesić werden nun die kommenden vier Jahre nicht an dem parlamentarischen Leben Serbiens teilnehmen. Eine so lange Abstinenz hat bisher keine Partei in Serbien überlebt. Das komplizierte System der Parlamentswahlen macht Prognosen schwierig. In jeweils 29 Wahlkreisen, die verschieden viele Abgeordnete ins 250köpfige serbische Parlament entsenden, müssen die Mandate jener Parteien aufgeteilt werden, die über fünf Prozent der Stimmen erreicht haben. Vor allem im Kosovo, das ein Anrecht auf über 30 Mandate im serbischen Parlament hat und wo von über einer Million Wahlberechtigten 900.000 Albaner die Wahlen boykottiert haben, sind Wahlmanipulationen kaum zu kontrollieren.

Die einzige Chance für die Milošević-Sozialisten ist nun, daß sie immerhin stark genug werden, um mit Splitterparteien wie etwa den „Sozialdemokraten“ mit dem Exgeneral Vuk Obradović als Vorsitzendem eine Regierung zu bilden. Oder es könnte sich herausstellen, daß sie unter den als Oppostionskandidaten gewählten Abgeordneten Maulwürfe haben, die in ihre Fraktion überwechseln werden. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß ihre Alleinherrschaft in Serbien zu Ende ist.

Abseits vom politischen Feilschen steht die ultranationalistische „Radikale Partei Serbiens“ (SRS) mit ihrem Führer Vojislav Šešelj. Überall sind ihre Resultate bedeutend besser als bei den Kommunalwahlen im vergangenen Winter. Es könnte sich leicht herausstellen, daß die SRS, die keine Koalitionspartner hat, noch die stärkste einzelne Partei in Serbien wird. Am Montag lag sie nicht einmal zehn Prozent hinter dem von den Sozialisten dominierten „Linken Block“.