Gastkommentar
: SPD-Schlappe im Trend

■ Die Hamburger SPD ereilte das Schicksal ihrer Genossen in Bremen

Es sah alles so gut aus für Henning Voscherau und seine SPD in Hamburg. Die Umfragen signalisierten nur leichte, vertretbare Verluste, und Voscherau stand als bei weitem beliebtester Bürgermeisterkandidat da. So mußten die verlorenen vier Prozent der Hamburger Sozialdemokraten wie ein Schock wirken. In Wirklichkeit hatte sich in Hamburg nur das fortgesetzt, was in anderen Großstädten wie Bremen, Berlin oder Stuttgart seit langem Trend ist.

Lange Zeit waren Hamburg und Bremen Industriestädte mit einer gut organisierten Arbeiterschaft. Die Entindustrialisierung begann in Hamburg wesentlich früher, die Dominanz der dienstleistenden Branchen wurde selbst in der Hamburger SPD positiv bewertet. Eine Fixierung auf die Arbeiterschaft war in Hamburger SPD-Kreisen allenfalls als romantisierende, linke Ideologie möglich. Die Repräsentanten der SPD von Weichmann, Klose, von Dohnanyi bis zum Notar Voscherau galten als weltoffen, modern und bürgerlich. Sie sorgten dafür, daß die in Hamburg eher kleinbürgerliche CDU nie den Sprung an die Regierung schaffte.

Die SPD verlor in Hamburg von 1991 bis 1997 12 Prozent. Sie hat in dieser, wie in der Wahl vor vier Jahren, nicht nur an die Grünen, sondern insbesondere an die Reps beziehungsweise an die DVU verloren. Voscherau hat mit seinem Wahlkampfschwerpunkt innere Sicherheit versucht, die Abwanderung der Wähler aus den dramatisch bröckelnden, alten sozialdemokratischen Millieus zu verhindern. Entgegen allen Einschätzungen auch der Grünen muß betont werden, daß dieser „Ansatz“erfolgreicher war, als Voscherau und die SPD derzeit annehmen: Wäre Voscherau nicht auf das Thema innere Sicherheit eingegangen, die Gesamtheit der rechtsradikalen Stimmen wäre im Vergleich zu den letzten Wahlen nicht ungefähr gleich geblieben, sondern angestiegen.

Diese Einschätzung will begründet sein: 36,3 Prozent Wählerstimmen sind für eine Großstadt-SPD kein schlechtes Ergebnis. Sie erzielte dieses Ergebnis gegen ein gewandeltes politisches Klima. Alle Wahlkämpfer, von der CDU bis zur GAL, klagen unisono über aggressive Anfragen „bürgerlicher“Wähler zu den Themen Straßenkriminalität, Gewalt, Ausländer und offene Drogenszene. Der Grund für diesen Wandel: Eine steigende Zahl von Bürgern, die mühsam und redlich, von Arbeitslosigkeit bedroht, ihren Alltag organisieren, empfinden die Toleranz gegenüber alltäglicher Kriminalität und Regelverletzung als zutiefst ungerecht. Insbesondere ältere Menschen fürchten sich.

Dieses Gefühl ist nicht durch Themensetzung im Wahlkampf, sondern nur durch Glaubwürdigkeit zu bekämpfen. Das gilt für beide Hansestädte. Die Bürger erwarten gar nicht, daß es beispielsweise schnelle Erfolge im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit gibt, sie erwarten aber Ernsthaftigkeit, wenn die Politik sich diesem Thema widmet. Doch Arbeitslosigkeit war im Hamburger Wahlkampf trotz 90.000 Arbeitslosen noch nicht einmal ein Thema. Die hamburger Wahlergebnisse sind kein gutes Omen für die Bundestagswahl, denn auch die Grünen blieben weit hinter den eigenen Erwartungen zurück. Ein eignes Thema vermochten sie im Wahlkampf nicht zu setzen.

Jo Müller

Der Autor, Ex-Bremer, seit sieben Jahren Herausgeber der Wochenzeitung Hamburger Rundschau, saß früher für die Grünen im Bundestag.