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: Fotos von Christine Frenzl und Ina Wudtke im shift-Salon

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Fotos von Christine Frenzl und Ina Wudtke im shift-Salon

Der Himmel ist blau, das Meer ist blau, und auch die Berge sehen so lecker wie Kindergeburtstagskuchen aus. Die Fotografin Christine Frenzl reist zwar ausgiebig, ihre Bilder aus Japan oder Amerika erinnern bei aller Perfektion trotzdem mehr an Schnappschüsse. Die Beiläufigkeit der Motive hat sie von Nan Goldin, mit der sie auch an einem früheren Projekt in Tokio gearbeitet hat. Dort springt ein kleiner Junge über die Straße, und auf der Gegenseite leuchten Neonreklamen, dann wieder verlieren sich die Details im Dunkel der Nacht. Es ist keine melancholische Stimmung, sondern schiere Neugier, die Frenzl antreibt. Jetzt hängen ihre Momentaufnahmen im neueröffneten shift-Salon und dokumentieren, wie schnell sich jeder Augenblick in der Ferne verflüchtigt. Nur Farben bleiben.

Daneben sind die Fotowände von Ina Wudtke fast statisch montiert: Lebensarchitektur en bloc. Ihre „hip hop teenager“ oder „Boygroupfans“ sind in der Art von Szenereportagen zusammengestellt und könnten auch in Stadtmagazinen bis hin zur englischen Face abgedruckt werden, obwohl Wudtke lediglich mit einer Automatik- Pocketkamera knipst. Entscheidend ist das Einverständnis mit den Fotografierten: Um die 60 B-Boys und -Girls lümmeln sich vor der Kamera und posen entsprechend selbstbewußt. Besonders ausgeprägt erscheint in dieser gebündelten Inszenierung von Underground das Interesse an Distinktion: Jedes Outfit ist Bekenntnis zum Hiphop und zugleich Abgrenzung von anderen Gangs.

Umgekehrt sieht man den im Schnitt höchstens 13 Jahre alten „Boygroupfans“ ihre Unentschiedenheit an. Die Mädchen scheinen nur eben kurz aus der Menge vor Wudtkes Kamera gespült worden zu sein. Die Namen der Lieblingsstars haben sie mit Filzer auf den Arm gemalt, ihre T-Shirts sind Massenware statt Markenartikel. Um so beeindruckender ist die fanmäßige Hingabe: Manche halten sich an Bravo-Postern oder überdimensionalen Fotos fest, auf denen ein Backstreet Boy sie in den Arm genommen hat – vermutlich aus Zufall, eine von hundert.

Wudtke geht es nicht um Fotoästhetik, eher schon um soziale Erfahrungen am Rande der Populärkultur. Wenn sie dutzendweise Titelseiten von Frauenmagazinen ablichtet, dient ihr die Auflistung auch als Beleg dafür, wie sehr sich das Lächeln von Caroline Reiber von ihrem eigenen Alltag unterscheidet. Die Hamburger Künstlerin, DJane und Herausgeberin des „Neid“-Fanzines hält mit der Reihe „Women in my hood“ dagegen – Mütter mit Dreadlocks, Roma-Frauen und Punks aus dem Schanzenviertel, allesamt völlig unspektakulär aufgenommen. Für Wudtke ergibt sich aus all diesen Fotos der Beweis, daß sich in der Summe erst Identität herstellen läßt. Vermutlich sieht man die Sache in Kreuzberg oder am Friedrichshain ganz ähnlich. Harald Fricke

Bis 12.10., Do–So 15–19 Uhr, Friedrichstraße 122/123

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