Weit reicht das Sendebewußtsein Von Carola Rönneburg

Vor einigen Jahren schlich eine schwarz gekleidete Gestalt mit einem Koffer voller Geld durch Berlin. Das war der „Money Man“, unterwegs im Auftrag von RTL-Radio. Wer ihm begegnete, durfte den Koffer übernehmen, allerdings unter einer Bedingung – er mußte sich selbst bezichtigen, den Boutiquenfunk zu hören. Eines Tages geriet der „Money Man“ auf dem Alexanderplatz an eine junge Frau, die sich standhaft weigerte zu lügen. Ich habe es selbst gehört und staune noch heute: Koffer hin, Koffer her, sie höre DT 64, erklärte sie.

Normalerweise passiert das natürlich nicht. „Absolute Superpreise“ gilt es zu ergattern, wenn Berlins penetranteste Radiosender alljährlich um die Gunst des Publikums buhlen: Eine Forschungsstelle ermittelt zur Zeit Hörers Einschaltgewohnheiten. Die Ergebnisse bestimmen, wie teuer sich die Stationen zukünftig an die Werbung verkaufen können, und so veranstalten die Stationen mit den dümmsten Moderatoren und der dumpfesten Musik pausenlos Gewinnspiele – Hauptsache, der Berliner brüllt reflexartig „Hundertelfkommazwo!“, sobald er nach seinem Radioprogramm gefragt wird. Die superrichtige Antwort konnte ihm bisher 50.000 Mark, ein Angeberauto oder gar einen Adelstitel durch Adoption einbringen.

Daß es auch ganz ohne große Scheine oder eine Villa in der Nachbarschaft von Ebi Thust geht, zeigte am Sonntag die Forschungsgruppe Wahlen im ZDF. Anläßlich der Hamburger Bürgerschaftswahl hatte sie in einer Umfrage wissen wollen, welches die größten Probleme der Hansestadt seien. Wenn Sie mich fragen, sind das in erster Linie die berühmten Pfeffersäcke und das Wetter, aber so etwas wollen Dieter Zimmer und seine Forschungsgruppe nicht hören. „Alsterradio, äh: Kriminalität!“ muß es heißen – dafür haben Kanther und Schröder schließlich lange genug mit den Leuten geübt. Auch die Grünen jamern derzeit immer wieder beleidigt, sie hätten sich sehr wohl und überhaupt eigentlich schon immer mit der sogenannten Inneren Sicherheit beschäftigt. Da haben wir den Salat. Denn jetzt wissen es alle, und alle haben es schon immer gewußt – wir sind umzingelt von Taschendieben, Einbrechern, Bankräubern und Mafiabanden; in jeder Sekunde können wir Opfer eines Überfalls werden. Kriminalität! Überall! Und deshalb sind sich parteiübergreifend alle einig, daß hier nicht nur etwas, sondern viel getan werden muß. Für wen aber, bitte schön, sollen sich nun die Wähler bei der Bundestagswahl entscheiden?

Es wird schwer sein für alle, sich bis März 1998 noch ein neues Thema auszudenken, das ähnlich folgsam aufgesagt wird, wenn Dieter Zimmer in der Leitung ist. Da bleibt nur eins: wer gewinnen will, muß neben die Mitarbeiter der Forschungsgruppe seine Moneymänner vor die Wahllokale stellen. Die winken den Wählern freundlich zu und hören genau hin, wer sein Kreuz an der richtigen Stelle gemacht hat. Nur für sie öffnen sie ihre Koffer und verteilen großzügig die absoluten Superpreise – Zweizimmerwohnungen, Billiglohnjobs, Kindergartenplätze, Schulbücher und Medikamentengroßpacks.

Und wenn da einer lügt, wird er eingebuchtet, bei Wasser, Brot und Hundertelfkommazwo.