Mangel an Respekt

■ Der Schweizer Alex Zülle radelt seinem zweiten Sieg bei der immer weniger beachteten Spanien-Rundfahrt entgegen

Berlin (taz) – Die Vuelta de Espana hat Imageprobleme. Einst eine der drei großen Radrundfahrten, wird sie inzwischen von den meisten Spitzenfahrern gemieden. Sogar Miguel Induráin weigerte sich beharrlich, die Schleife im eigenen Land zu fahren, die in diesem Jahrzehnt nur einmal von einem Spanier gewonnen wurde (Melchor Mauri 1991). Als Induráin im letzten Jahr von seinem Team zur Teilnahme gezwungen wurde, stieg er in den Bergen Asturiens frustriert vom Rad – sein letzter Auftritt als Profi.

Auch diesmal fehlen Namen wie Ullrich, Riis, Virenque, Pantani sowie die der großen Sprinter Cipollini und Zabel. Die Vuelta geriet zum Trostpreis für jene Cracks, die bei der Tour de France zu kurz gekommen waren: Zülle, Tonkow, besonders natürlich die Spanier Escartin und Olano. Vor allem auf Letzterem ruhten die Hoffnungen der Veranstalter, das Renomée der Vuelta wenigstens im eigenen Land steigern zu können. Doch, oh Graus, schon beim ersten Paß in der Sierra Nevada machte es „Plaf“ (El Pais). Abraham Olano schwanden die Kräfte, er gab auf und begab sich zur ausführlichen Untersuchung mehrere Tage in ein Krankenhaus. Am Wochenende zeigte sich dann in Asturien, daß auch Fernando Escartin, der Tour-Fünfte, nicht stark genug war, den führenden Alex Zülle zu gefährden. Fast drei Minuten beträgt sein Vorsprung, und da die Pyrenäen in diesem Jahr ausgespart bleiben, warten auf den Schweizer nur noch relativ leichte Etappen, darunter am Samstag seine Spezialität, ein Zeitfahren. Wenn er nicht auf die Nase fällt, was ihm allerdings häufig widerfährt, müßte der Sieger am Sonntag in Madrid Alex Zülle heißen, zum zweiten Mal nach 1995.

Das war nicht gerade der Verlauf, den sich die Organisatoren erträumt hatten, und dies erklärt vielleicht ihre kleingeistige und übertriebene Reaktion auf den Ausstieg des Russen Pawel Tonkow. Der Giro-Sieger war schon mit einer Magen-Darm-Grippe ins Rennen gegangen, kassierte nach einem Schwächeanfall in der ersten Woche fast eine halbe Stunde Rückstand, hielt aber dennoch durch und ließ sich letzte Woche auch durch die Geburt seines Sohnes („er ist so häßlich wie ich“) nicht stoppen. Mit zwei grandiosen Etappensiegen – zuletzt am Sonntag auf dem Weg zu den Lagos de Covadonga, wo Induráin im letzten Jahr aufgab – sorgte er für die Glanzlichter der Vuelta 97. Erst am Montag, als es ins Flachland ging, stieg er aus und machte sich auf den Weg zu Frau und Kind. Offizielle Begründung: eine Bronchienentzündung. Die Organisatoren erklärten prompt, der Russe habe es „an Respekt gegenüber dem Rennen und den Zuschauern“ fehlen lassen, und beschlagnahmten seine Prämien in Höhe von 3.330 Dollar. Man darf davon ausgehen, daß sie es sich so nicht gerade leichter machen, die großen Figuren des Radsports für ihr Rennen zu begeistern. Matti