Kuba

■ betr.: „Nutznießer und Verlierer“, Kommentar von Bernd Pickert, taz vom 6./7.9. 97

[...] In seinem Kommentar über einen tödlich verlaufenen Bombenanschlag in Havanna resümiert Bernd Pickert unter dem Titel „Nutznießer und Verlierer“: „Fidel Castro und Miami, das sind zwei Extreme, die sich gegenseitig brauchen. Auf der Strecke bleiben jene Kubaner, die für einen friedlichen Wandel eintreten, denen die Freund-Feind-Schemata längst zu eng geworden sind.“

Ich halte es für völlig abwegig, Fidel Castro auf eine Stufe mit dem terroristischen Teil der Exilkubanergemeinde in Miami zu stellen. Meines Wissens hat Fidel keine Terrorakte oder andere Verbrechen zu verantworten wie zum Beispiel die Boys von Alpha 66 oder anderen exilkubanischen Banden, vielmehr ist gerade er immer wieder Ziel von Attentatsversuchen gewesen (allein die CIA hat nachweislich 26 Mordversuche durchgeführt bzw. durchführen lassen). Soweit ich beurteilen kann, hat Kuba in den letzten Jahren einen friedlichen Wandel vollzogen; Fidel und die kubanische Regierung haben nach der Revolution 1959 und dem Hinausjagen der Unterdrückerklasse um Diktator Batista nichts anderes als friedlichen Wandel praktiziert, und zwar auf einem sozialen Niveau, vor dem beispielsweise die USA oder andere Länder der sogenannten Dritten Welt vor Neid erblassen müßten.

[...] Die einigermaßen realistischen Szenarien, wie sie beispielsweise von Prof. Gillian Gunn (SAIS, Washington DC) in ihren Publikationen erörtert wurden, verdeutlichen, daß eine akzeptable Alternative zu dem bisher gegangenen Weg nicht denkbar bzw. sinnvoll ist. Und das, was die Exilkubanercliquen anzubieten haben, ist (mit wenigen Ausnahmen) das Papier bzw. die Diskette nicht wert, worauf sie fixiert sind. [...]

In der wissenschaftlichen Diskussion über die Hintergründe für die derzeitige Misere Kubas werden die folgenden genannt: Wegfall von 85 Prozent Außenhandel, US-Blockade (inklusive der Kohlschen UN-Politik gegen Kuba), sein neuer Status als Dritte-Welt- Land mit all den bekannten Folgen und schließlich interne, systemische Mängel. Der von Konservativen immer wieder vorgeschobene Grund, daß die UdSSR Kuba „ausgehalten“ hat, ist nicht nur aufgrund des beschränkten Volumens der Transfers nicht haltbar bzw. stark zu relativieren; vor allem stellt eine solche Argumentation die Ungerechtigkeiten des Weltwirtschaftssystems als legitime Struktur nicht in Frage: Ich halte es für sinnvoll, Handelspartnern im „Süden“ (Partner!!?) einigermaßen „gerechte“ Preise zu zahlen, die dann natürlich höher liegen als die auf dem „freien Markt“ sich ergebenden bzw. diktierten („terms of trade“), wie dies zum Teil innerhalb des RGW auch mit Kuba der Fall gewesen ist.

Fidel Castro trägt immer noch Bart und Militäranzug. Und er kritisiert weiterhin die imperialistischen Aktivitäten der USA und die ungerechten Strukturen und Folgen der internationalen Politik. Beides ist nicht mehr en vogue: sowohl die Klamotten als auch die politisch-ideologischen Moden haben sich gewandelt. Im Sog des Mainstreams der Beliebigkeit werden Mittelwege als erstrebenswerte politische Ziele gedacht, so auch in der Logik von Pickert in bezug auf die Lage in Kuba. Wenn jemand wie Pickert über Kuba aus einem Standort inmitten einer fett verkrusteten politischen Saumagen-Kultur schreibt, in der Anpassung an die deutsche Gemütlichkeit und Denk- und Analysefaulheit (an „den“ Markt) sich derzeit durchsetzt, ist es nicht verwunderlich, daß das Ergebnis nicht weit vom Birnen-Stamm gefallen ist. Denkaufgabe zum Abschluß: Wer ist der „Nutznießer“ solcher Denkfaulheit und wer ist der „Verlierer“? Edgar Göll, Berlin