Wühltisch
: Sparen unter Palmen

■ Alles, was das Buffet erlaubt. Notizen einer teilnehmenden Urlaubsbeobachtung und Mutmaßungen über einen bevorstehenden Sinneswandel an Pool und Strand

„Es wird erklärungsbedürftig“, vertraute kürzlich der Präsident des Deutschen Reisebüro-Verbands dem Spiegel an, „wenn man nicht reist.“ Von wegen, einfach schöne Ferien. Richtig Urlaub zu machen, so der Branchenvertreter, sei längst ein von den Mitmenschen kontrolliertes soziales Tun. Der Deutsche muß wegfahren, weil seine Kollegen und Bekannten es erwarten. Drohender Arbeitsplatzverlust und Einkommenseinbußen sind kein Argument, sich des günstigen Drei- Sterne-Aufenthalts an der Türkischen Riviera zu entziehen. Sparen soll er gefälligst am Urlaubsort. Und so wähnen wir die Deutschen weiter auf Balkonen mit Meerblick – wenn auch mit aqua minerale statt Marguerita.

Die privaten Fernsehmedien präferieren derweil ein Bild vom deutschen Urlauber als spaßwütigem Freizeithooligan. Hoch die Tassen zur „Wet T-Shirt-Night“ und saufen bis der Doktor kommt. Eine teilnehmende Beobachtung an Pool und Buffet hat kürzlich andere Ergebnisse zutage gefördert. Der Urlaub ist nur die Verlängerung des Alltags. Jedenfalls ist es nicht die Zeit zum Ausagieren des ganz anderen. So verkündete beispielsweise eine dicke Wirtin aus Konstanz laut hörbar für alle Umliegenden ihre entschiedene Ablehnung aller All-inclusive-Angebote. „Mehr als esse und trinke kann mer do au net.“ Urlaub ist zuallererst die Zeit, in der man anderen von anderen Urlauben erzählt.

Entgegen anderslautenden Annahmen und vereinzelten Fernsehberichten gehört der Triebverzicht längst zu den Sozialtechniken der unteren Vergnügungsklassen. Am gewöhnlichen Halbpensionsbuffet herrscht denn auch eher Verunsicherung als hemmungsloser Aufladezwang. Da liegt der Fisch schon einmal in der Fleischsauce nebst Hackfleischbällchen, und das Tiramisu wird mit einer Kugel Eis, weniger aus Freßsucht denn zur Vermeidung weiterer Wartezeiten, auf einem Teller drapiert.

Zu der These, daß der Referenzpunkt des Urlaubs andere Urlaube sind, paßt auch die Beobachtung, daß die Neckermann- Etablissements nunmehr von Klienten bevölkert werden, die einst als junge Menschen auf der Suche nach großer Freiheit in Richtung Kreta unterwegs waren. Mit Blick auf die Kleiderordnung am Buffet ist noch ein Rest Protestpotentials zu erkennen. Obwohl eigens Kärtchen mit der Bitte ausgegeben werden, den Speisesaal nicht in kurzen Hosen zu betreten, fällt der Blick beim Suppefassen unweigerlich auf Brust- und Beinhaar in verschiedenen Farben und Längen. Das ist allerdings weniger ein Indiz für zunehmenden Sittenverfall vor Ort. Der Durchschnittsurlauber müht sich redlich und mit einigem Stolz mit einheimischen Sprachfloskeln und Landessitten ab.

Ein Wandel im Umgang mit der freien Zeit ist derweil von ganz anderer Seite zu erwarten. Urlaubsforscher arbeiten daran, der vorübergehenden Abwesenheit von Arbeit und Heim mehr Sinn zu verleihen. So forderte der Ökonomieprofessor und Urlaubsforscher Jost Krippendorf („Die Landschaftsfresser“) neulich in der Zeit: „Wir müssen neue Urlaubsangebote entwickeln, die den Bedürfnissen nach Anregung und Entspannung, Abenteuer und Geborgenheit, Reflexion und Sinngebung mehr entsprechen.“ Die Menschen unseres Kulturraumes, glaubt Krippendorf, verspüren eine tiefe Sehnsucht nach Sinngebung und neuer Werteordnung in sich. Dabei ist unsereins schon mit einem netten Strand zufrieden. Harry Nutt