■ Junge Grüne: Der Bruch mit der 68er-Philosophie ist halbherzig und endet folglich in der rot-grünen Sackgasse
: Zwei Schritte vor, einen zurück

Die jungen Grünen verstehen ihr Geschäft. Routiniert besetzen sie ideologische Marktlücken und haben eine altlinks und rot-grün verrammelte Tür aufgestoßen.

Gemeinhin gelten die Grünen heute als realistisch, regierungsfähig und irgendwie auch zukunftsweisend. Gewiß, sie haben den Umweltschutz im politischen System verankert. Sonst aber ist ihre Geschichte ein einziger Prozeß der Selbstkorrektur, der Abarbeitung von offensichtlich unsinnigen Positionen. Ihre staatsbürokratischen Lenkungsphantasien hat die Partei ebenso über Bord geworfen wie ihre Feindschaft gegenüber der repräsentativen Demokratie, den Ohnemichel-Pazifismus hat sie ebenso in Zweifel gezogen wie die Ablehnung des Marktes. Sie hat keine neuen Ideen in Umlauf gebracht, sondern nur die verstaubten alten aussortiert. Viel mehr war in 15 Jahren leider nicht.

Diese Altlasten hat es für die Jungen nie gegeben. Sie sind mental nicht gegen die Bundesrepublik, sondern in ihr aufgewachsen, die Systemfrage stellte sich ihnen nie, sie konnten also gleich an die Arbeit gehen. Und was sie zu bieten haben, kann sich sehen lassen. Sie suchen nicht mehr nach dem apokalyptischen Szenario, sondern klopfen die Verwerfungen auf Chancen ab.

Die Welt wird schlimmer von Tag zu Tag – das war ein Credo der grünen Gründungsgeneration. Vermischt mit der zivilgesellschaftlichen Wendung, die viele grüne Republikfeinde nach 1989 genommen haben, ist daraus eine konservative Haltung geworden: Für sie ist alles, was mit dem Umbau des Sozialstaats zu tun hat, eine Gefahr, die in der Wolfsgesellschaft endet. Die jungen Grünen dagegen sind realistisch genug, die Vollbeschäftigung abzuschreiben. Ohne dies zu verharmlosen, sehen sie es aber nicht nur als Tragödie. Gemischte Erwerbsbiographien werden in Zukunft der Normalfall sein. Also zählen Beweglichkeit, Neugier und die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen. Damit das möglich wird, muß der Staat die Voraussetzungen schaffen. Verlassen soll man sich nicht auf ihn, Existenzgründungen sind also angesagt. Teilzeit und Flexibilität gelten den jungen Grünen nicht mehr als Teufelszeug, und sie finden da – als wär's bei Anthony Giddens und New Labour abgeschrieben – einen überraschenden Dreh: Vollbeschäftigung war immer Männersache, Frauen mußten (in ihrer Mehrheit) draußen bleiben. Das Ende der Vollbeschäftigung ebnet diese Chancenungleichheit ein wenig ein – man sollte das nicht beklagen, sondern nutzen.

„Wir brauchen mehr und weniger Arbeit“, sagen sie und gehen als erste Grüne offensiv davon aus, daß es nichts mehr zu verteilen gibt. Haben also die Sozialabbauer recht? Nein, sagen die jungen Grünen und suchen einen Mittelweg. Das Plakat, das sie hochhalten, weist nur sehr ungefähr die Richtung: von der Lobby- zur Teilhabegesellschaft. Das bedeutet die sanfte Abkehr vom bundesdeutschen Proporz- und Verbändemodell. Gemeint ist nicht die idealistische Gesellschaft, in der allein die mitmenschliche Vernunft zum Teilen treibt, sondern – soweit die Autorinnen und Autoren das erkennen lassen – durchaus ein pfiffiges do ut des: der Weg zu einer Gesellschaft, die politisch gewollt die Bahnen des Etatismus verläßt und in der die allgemeine, gerade auch die Reichen fordernde Bereitschaft zum Teilen und zum Weniger mit Teilhabe belohnt wird.

Das alles war überfällig. Dennoch hat das Papier der so strebsamen Junggrünen einen Haken. Ihre Forderung, die 68er sollten doch bitte zu den machtpolitischen Exekutoren ihrer Ideen werden, klingt unglaubwürdig. Denn ihr rudimentäres Programm ist ein glatter Bruch mit der Philosophie von 68. Politisch in den Phrasenkanälen der Grünen aufgewachsen, trauen sie sich jedoch nicht, das auszusprechen. Wie alle Demagogen wollen sie den Wandel als Kontinuität verkaufen.

Folglich verfallen sie im machtpolitischen Teil in alte Schemata. Das klappert dann – im Duktus des großen Vorsitzenden Fischer – so: „Die Bundestagswahl entscheidet über die Zukunftschancen unserer Generation.“ Gott, wie oft haben wir das schon gehört! Nein, auch diese Wahl entscheidet es nicht, wie überhaupt die Zukunft nicht durch Wahlen entschieden wird. Da greifen die jungen Strebsamen in die große grüne Ultimativkiste und vergessen alles, was sie über Teilhabe und den Vorrang der Gesellschaft gesagt, zumindest aber gedacht haben.

Sie enden daher in einer Sackgasse. Mit den schönsten Wendungen verstehen sie es, die Segnungen der „Teilhabegesellschaft“ aufblitzen zu lassen: kein Paradies mehr, keine Utopie, eher etwas Schwieriges, aber Lohnendes. Etwas für kluge, erfolgsorientierte und solidarische Leute: das Leben in einer „anspruchsvollen, schwierigen Gegenwart“, das Abenteuer Gesellschaft. Dies alles, heißt es dann, münde in das rot-grüne Projekt, das es 1998 auf Bundesebene zu verwirklichen gelte. Leider unterlassen es die Junggrünen, auch nur die Spur einer Begründung mitzuliefern. Vielleicht ist ihnen die rot-grüne Litanei ja schon habituell geworden. Wahrscheinlicher ist, daß sie selbst nicht so recht glauben, was ihnen da in den PC fließt. Sie sind mutig genug, die schwülen Träume aus grüner Vorzeit zu verabschieden. Sie sind aber nicht mutig genug, den rot-grünen Kaiser nackt zu nennen, die mangelnde Kohärenz der rot-grünen Perspektive herauszustreichen. Dabei ist es doch längst nicht mehr zu übersehen, daß Rot-Grün den Zenit überschritten hat und auch kein Vernunftbündnis, sondern eher eine Notgemeinschaft ist. Eine unproduktive obendrein, wie die Rolle rückwärts der SPD in Schröders angeblich modernen Tonnen-Industrialismus beweist.

Wer den Wechsel will, darf sich – unabhängig von dem, was 1998 möglich ist – der eigentlich radikalen Perspektive nicht verschließen: der schwarz-grünen. Gewiß, der steht der Altbundesrepublikaner Kohl, und beileibe nicht nur er, im Wege. Wenn die Grünen das aber zum Vorwand nehmen, die schwarz-grüne Option gar nicht erst zu denken, machen sie sich ohne Not zur Geisel der SPD. Sicher, Schwarz-Grün ist noch nicht mehrheitsfähig. Manchmal aber sollten auch Grüne es wagen, der Zeit wenigstens einen Schritt voraus zu sein. Nicht Machtwunsch und Mutwille legen Schwarz-Grün nahe. Es könnte vielmehr sein, daß auf dem Weg zur Teilhabegesellschaft die – reformierte – Union ein besserer Partner ist als die staatsselige Partei der traurigen Enkel. Wie auch immer: Kohl muß weg – das ist heute noch weit weniger ein brauchbares Programm als vor vier Jahren. Thomas Schmid