Bis zu 200 Tote in Algerien

■ Eskalation der Gewalt im Vorfeld der Kommunalwahlen: Erneut wurde ein Vorort der Hauptstadt überfallen. Die Regierung spricht von 67 Toten. Die verbotene Islamische Heilsfront verurteilt die Tat

Algier/Berlin (AFP/taz) – Bei einem der schlimmsten Massaker in Algerien sind in einem Vorort von Algier in der Nacht zum Dienstag nach Angaben von Überlebenden zwischen 180 und 200 Menschen getötet worden. Polizei und Armee sprachen in einer offiziellen Erklärung zunächst von 85 Toten und 67 Verwundeten, darunter 31 Schwerverletzte. Die Behörden machten radikale Islamisten für die Tat verantwortlich und sprachen von einem „Akt der Barbarei“. Die verbotene Islamische Heilsfront (FIS) verurteilte den Massenmord „entschieden und entschlossen“, wie ihr Sprecher Abdelkrim Ould Adda in Paris sagte.

Der Überfall begann am Montag abend in Benthala am südlichen Stadtrand von Algier. Die meisten Opfer waren Frauen und Kinder. Die Täter schnitten ihnen die Kehle durch oder steckten Häuser mitsamt den Bewohnern in Brand. Die Täter plünderten nach Angaben von Überlebenden zunächst die Häuser und verminten dann das Gebiet. Die Armee riegelte den Tatort ab.

Nach Korrespondentenberichten herrschte in der Umgebung gestern eine unbeschreibliche Panik. Die sterblichen Überreste der Opfer wurden in eine Schule gebracht. „Alle Leichen liegen in einer Reihe, das war eine unglaubliche Schlächterei“, sagte ein Bewohner.

Die Gegend um Bentalha zwischen Algier und Sidi Moussa gilt als äußerst gefährlich. Die Straße von Algier nach Sidi Moussa ist seit mehreren Monaten für den zivilen Verkehr geschlossen, weil die Behörden Überfälle befürchten. Es gab Fälle, bei denen bewaffnete Banden in Polizeiuniformen auftraten und Straßensperren errichteten.

In den letzten Wochen sind immer wieder Dörfer in der Umgebung Algiers überfallen worden. Nirgends sind die Bewaffneten islamischen Gruppen (GIA) so präsent wie hier. Tagsüber herrschen Polizei und Armee, nachts die bewaffneten Banden.

In Algerien herrscht seit 1992 Bürgerkrieg, dem Schätzungen zufolge bereits mehr als 60.000 Menschen zum Opfer fielen. Entzündet hatten sich die Kämpfe am Abbruch der Parlamentswahlen 1992, als sich ein Sieg der FIS abzeichnete. Am 15. Juli hatte die Regierung als Zeichen der Entspannung den früheren Anführer der FIS, Abassi Madani, aus der Haft entlassen. Doch seither hat sich der Terror der bewaffneten Banden nur noch verschärft. Die Eskalation der Gewalt erfolgt im Vorfeld der Kommunalwahlen am 23. Oktober. Mit diesen Wahlen will Staatspräsident Liamine Zéroual den Aufbau maßgeschneiderter, demokratischer Institutionen beenden.