Wenn der Thalys kommt...

Der Renommierzug aus Paris ist ein Schildbürgerstreich voller Überraschungen. Die erste Bahnverbindung mit Steh- statt Fahrplan  ■ Aus Aachen Bernd Müllender

Kürzlich gab die Deutsche Bahn auf dem Güterbahnhof Aachen- West den „Tag des Lokomotivführers“. Dutzenderlei Loks und Waggons wurden von Tausenden Neugierigen bestiegen und gefilmt. Auch der neue französische Hochgeschwindigkeitszug Thalys stand da. Aber er blieb geschlossen. So blieb dem Publikum verborgen, daß der rot-graue Wunderzug zwar schlank und schick stromlinienförmig wirkt, innen aber eng ist und nur sehr mäßig bequem.

Am 14. Dezember, einem Sonntag, wird es auf dem Aachener Hauptbahnhof großen Bahnhof geben: Denn da kommt er dann tatsächlich, kurz nach 10 Uhr, der hochmoderne Nachfahre des wohlbeleumundeten französischen Superzugs TGV, um fahrplangemäß auf dem Weg von Paris zum Zielbahnhof Köln erstmals in Deutschland haltzumachen. Da wird, so darf man annehmen, gefeiert werden von Bahnoberen und stolzen Stadtoberen und viel gefreut. Täglich siebenmal wird der Thalys (übersetzt: „Er möge blühen“) Paris und Köln verbinden, über Brüssel, Lüttich, Aachen. Das ist angenehm für eilige Geschäftsleute, denn die Zeitersparnis bis Paris beträgt knapp eine Stunde.

Allen anderen Fahrgästen zwischen Köln und Aachen blüht eine ziemliche Katastrophe. Denn an diesem 14. Dezember wird es für sie zur gleichen Zeit eine andere historische Premiere geben: Wer frohgemut gegen 10 Uhr in Aachen den Stadtexpreß Richtung Köln nimmt, wird sich erstens wundern, warum dieser elf Minuten früher losfährt als gehabt, und zweitens in Düren, auf halber Strecke, wissen, warum: Der Zug wird genau diese elf Minuten auf dem Abstellgleis verweilen – um den Thalys vorbeirauschen zu lassen. So wird das jeden Tag alle zwei Stunden gehen. In Gegenrichtung gibt es jeweils sieben Minuten Zwangspause. Wie wird sich wohl täglich 14mal der gemeinsame Ärger der Abgestellten artikulieren? Und was passiert, wenn der Thalys Verspätung hat – was sehr beliebt ist bei Zügen aus Belgien, wie jeder Bahnreisende der Region weiß?

Die Bahn drückt sich um eine konkrete Antwort: Man hoffe auf „ein Höchstmaß an Pünktlichkeit“. Andere Nachteile kommen hinzu: Der Thalys fährt nicht zusätzlich, sondern ersetzt fünf bequeme belgische D-Züge und drei Eurocitys. Besonders grotesk: Wenn der Thalys in Köln-Hauptbahnhof ankommt, sind die Intercitys nach Süden gerade abgefahren. Die Folge: eine halbe Stunde Wartezeit, mindestens. Zunächst wollte die Bahn sogar für jede einzelne Thalys-Fahrt eine Reservierungspflicht.

Ein weiteres Kuriosum ist der „besondere Fahrpreis“ für das deutsche Teilstück. Es gilt der ICE-Preis, aber nur für Inhaber der Bahncard, Pendler werden mit „separaten Zuschlagstickets“ zur Kasse gebeten. Alle anderen Kunden erwartet das teure „Thalys- Preissystem“: Die einfache Fahrt 70 Kilometer Köln–Aachen kommt auf mindestens 30 Mark.

„Äußerst betrüblich, der Nahverkehr bleibt auf der Strecke“, klagt auch Peter Jacobs, Sprecher des Aachener Verkehrsverbundes AVV. Der Taktverkehr Köln – Aachen, gerade mühsam zusammengepuzzelt zwischen neuen Verkehrsverbünden und der Bahn mit einer attraktiven Verbindung von 57 Minuten Dauer im Stundentakt, gerät durch den Image- Zug aus Paris komplett durcheinander. Seinen Kunden wird der AVV das so erklären: „Wir haben erheblich und lang und hart mit der Bahn gestritten, allerdings erfolglos.“ Die Bahn habe „die übergeordneten internationalen Interessen hervorgehoben“, der Thalys sei eben „auf höchster Regierungsebene beschlossen“, die Abfahrtzeiten „von Paris und Brüssel diktiert“. Fahrpläne und Tarifsysteme geraten durcheinander. Schon sind die Verkehrsverbünde „in großer Sorge“, daß ihnen verärgerte Fahrgäste abspringen, wieder Auto fahren, und die Einnahmen sinken. Und dann heißt es wieder einmal: der ÖPNV ist lahm und defizitär und nicht rentabel. Da bilde sich, so der AVV- Sprecher, schon „ein gewisses Maß an Resignation“. Man könne nur hoffen, „daß das Problem, wie geplant, zum Fahrplanwechsel im Mai 98 geklärt ist“. Dann will die Bahn ein neues Taktsystem starten. Die Bahn indes verkündet: „Wesentliche Änderungen“ werden „nicht erwartet“. Aber: Schon würden Verhandlungen geführt über „Verlängerungen des Thalys über Köln hinaus“.