Hinter den Spiegeln

■ John Woos Reißer Im Körper des Feindes zeigt Selbstaufgabe und Identitätsfindung im Action-Gewand

Das Böse ist manchmal mitleiderregend, das Gute geradezu abscheulich. Der Katholik John Woo, in dessen Filmen zu passenden und unpassenden Momenten weihevoll Tauben durchs Bild wedeln und Kruzifixe sakral im Gegenlicht strahlen, weiß, daß das mit der Moral und ihrer Emblematik eine schwierige Sache ist. Denn nicht selten tritt das Böse im Konfirmationsanzug des Guten auf und das Gute im Sträflingshemd des Bösen auf. Ja, John Woo zettelt gerne mal einen Aufstand der Zeichen an.

In The Killer, dem Meisterwerk aus seiner Hongkong-Phase, trägt der Auftragsmörder weiß und der Polizist schwarz. Eine perfekte Symbiose bilden Killer und Cop, denn die Existenz des einen wird durch die des anderen definiert. Das ist das Muster, das Woo noch einmal für Im Körper der Feindes aufgreift, dem ersten großen Wurf des Kantonesen für Hollywood, in dem er sich noch einmal reichlich selbst zitiert. Das Gute und das Böse sind hier gar nicht mehr voneinander zu trennen, weil das eine im Körper des anderen steckt.

Und das kommt so: Castor Troy (Nicolas Cage) ist eine durch und durch üble Gestalt. Man kennt ja diesen Schlag Mensch, der lustvoll die Lenden kreisen läßt, bevor er einen Sprengkopf in der Kirche anbringt. Ein Potenzprotz ist das, der seine Potenz ganz in den Dienst der schlechten Sache stellt. Sean Archer (John Travolta) ist das genaue Gegenteil, der Polizist schaut stets bedröppelt aus der Wäsche, als ob er all das Leid der Menschheit geschultert hätte.

Endlich aber gelingt es dem Bullen, den Verbrecher zur Strecke zu bringen. Da liegt er nun im Koma, und auf einmal stellt sich heraus, daß Troy vor seiner Ergreifung noch eine Bombe plazieren konnte. Um herauszufinden, wo sie tickt, muß Archer in den Körper des Feindes steigen. Der asoziale Widerling erschoß einst den Sohn des Cops, perfider könnte die Geschichte also gar nicht laufen. Oder doch – denn Troy erwacht aus dem Koma und schmuggelt sich in den Körper des Cops. So schmort irgendwann der Gute mit der Visage des Bösen in Ketten, während der sexy Psychopath unerkannt dessen häuslichen Pflichten nachkommt.

Natürlich laufen John Travolta und Nicolas Cage beim spektakulären Body-Transfer zu großer Form auf, schon weil sie beide traurige Rehaugen machen müssen, um sich danach lüstern mit der Zunge über die Lippen fahren zu dürfen. Ein äußerst gerechter Schaukampf also. Und unerwartet tiefschürfend: Die Helden schauen in den Spiegel und erkennen sich selbst – im Körper des anderen. John Woo, der Metaphysiker des Actionkinos, läßt in diesem Spiel um Selbstaufgabe und Identitätsfindung die Kamera geschmeidig um die Charaktere kreisen, der Schnitt montiert sinnfällig die Parellelwelten zusammen. Vielleicht zu sinnfällig, denn der exzessive visuelle Eklektizismus made in Hongkong wird hier der westlichen Erzähltradition untergeordnet.

Wäre es nach John Woo gegangen – das Ende dieses Abenteuers aus dem Land hinter den Spiegeln wäre offen geblieben. Wer da in der Hülle des Guten überlebt, sollte nach seinem Willen nicht geklärt werden. Aber die Studiobosse, mit denen der Bilderstürmer ja schon zuvor reichlich Ärger hatte, wollten zum Schluß die alte Ordnung wiederhergestellt sehen. Ein Aufstand der Zeichen ist mit denen natürlich nicht zu machen.

Christian Buß

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