Gastkolumne
: Wunder aus der Not

■ Was geht Hamburgs Wahl Bremen an?

Hamburg hat gewählt – vermutlich Rot-grün. Hat die Wahl uns BremerInnen etwas zu sagen? Nach Jo Müller (taz 24.9.) kommt heute Uli Mückenberger, Bremer Politikwissenschaftler an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP), zu Wort.

Bremen und Hamburg gehören zu den 20 reichsten Städten der Europäischen Union, Hamburg ist die reichste. Gewiß, diese Feststellung löst erst einmal keines der derzeitigen Finanzprobleme. Aber wenn beide Hansestädte heute in Sack und Asche laufen, da und dort Sozialausgaben einsparen, der Kleinkriminalität den Kampf ansagen, bittstellerisch um Investoren jammern, sich wie Europas Armenhaus gerieren, dann vergeben sie die Chancen traditionsreicher Stadtstaatkultur. Und sie entledigen sich der Verantwortung, ein Beispiel der Krisenlösung für diejenigen zu liefern, die ungleich tiefer im Dreck stecken.

Intelligente Reformen sind heute gefragt – solche also, die den Gemeingeist fordern und auf das ansetzen, was lösungsbedürftig ist und wofür Lösungswege vorhanden sind.

Ein paar Beispiele:

– Innere Sicherheit: Das Bild von der Alltagskriminalität weiter aufzubauschen, wie es Schröder und Voscherau nicht anders als Borttscheller getan haben, ist ein fataler Irrweg. Das subjektive Bedrohtheitsgefühl der Bürger ist heute ohnehin weitaus größer als die objektive Bedrohtheit. Worauf es ankommt, ist, neue zivilgesellschaftliche Formen im Umgang mit Kriminalität und abweichendem Verhalten zu entwickeln.

– Arbeitsumverteilung: Der Appell, Arbeitslosigkeit zu beseitigen, bleibt bloßes Gerede, wenn er allein an die Bundesanstalt für Arbeit, „die“Unternehmen oder die Kommune gerichtet wird – er muß solidarische Arbeitsumverteilung einschließen und ermutigen. In Hamburg dümpelt seit Jahren der Vorschlag des Verwaltungspolitischen Arbeitskreises der ötv zur solidarischen Arbeitszeitverkürzung herum.

– Zeiten der Stadt: Intelligente Reformen sind vorrangig solche, die nicht einfach nur Geld kosten, sondern die gesellschaftliche Kooperationen herbeiführen, aus denen Wohlfahrtgewinne resultieren. Der Ansatz Zeiten der Stadt ist dafür ein Beispiel. In Barmbek-Uhlenhorst findet seit anderthalb Jahren der Modellversuch statt, den Stadtteil unter dem Aspekt der Zeitnöte erwerbstätiger Mütter zu mustern und umzugestalten. In Bremen-Vegesack wird demnächst das erste deutsche Zeitbüro eingerichtet, das Bürger/innen und Vereinigungen mit Vertretern der Kommune, der Verkehrsbetriebe usw. zusammenbringen wird, um zu einer besseren Koordination des Alltagslebens im Stadtteil beizutragen. Beide Ansätze aus ihrem Inseldasein zu befreien und zu einem gesamtstädtischen Projekt zu machen, steht auf der Tagesordnung. Über beiden Hansestädten liegt im Großen – wie über Deutschland überhaupt – der Alptraum des Scheitern und des Kleingeistes.

Wenn nicht die reichen Hansestädte - wer sonst verfügte denn über die Potentiale, einen Weg aus der Krise zu finden, den materiellen und den Traditionsreichtum der versammelten Bürgerschaft für den längst überfälligen Sozialpakt zu aktivieren?

Ulrich Mückenberger (wohnt in Bremen, lehrt in Hamburg)