Village Voice
: Kurt auf dem Klo

■ Der todtraurige Henning schrammelt ungenialen Social Beat, Mellowbag fahren mit Solarantrieb durch Paris

Zu der Zeit, als Nirvana gen Nirvana gingen, berichtete ein eher flüchtiger Bekannter, er habe Kurt Cobain getroffen, als er noch im Studentenwohnheim nahe Seattle abgehangen hätte und jener von seiner ersten Tour zurückkam. Auf dem Beifahrersitz seines schrottreifen Autos habe noch ein halber Schokoriegel gelegen, und das wäre – die Gitarre ausgenommen – Cobains gesamter Besitz gewesen, ausgesehen hätte er wie der letzte Mensch. Tage später auf dem Klo hörte er, wie der Mann, der später als erster MTV-Toter in die Geschichte eingehen sollte, im Zimmer nebenan rumjammte. Leider vergaß er, das Ganze mitzuschneiden. Doch eine ungefähre Vorstellung dessen vermittelt auch „Das Aroma der Wünsche“, ausgedacht vom todtraurigen Henning, dem wahrscheinlich letzten lebenden Proto-Slacker zwischen Metrobeat und Majordeal. Seine Roots liegen allerdings weder in Freiburg noch in Frisco, sondern irgendwo am Baumschulenweg (Berlin-Treptow), wo er sich vor Urzeiten mit einer Combo namens „Mildernde Umstände“ im Jugendclub „Schmenkel“ an subversivem Heavy Metal versuchte. Dort scheint bis heute noch nicht einmal ein eingängiger Song wie „Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk“ für Flurbereinigung gesorgt zu haben. Denn blöderweise kann Iron Henning tatsächlich schlechter singen als Max Müller und Arne Zank zusammen, und seine Band tut nicht etwa so, als könnte sie nicht spielen, sie bringt es tatsächlich nicht – was ziemlich schlechte Voraussetzungen sind für eine wie auch immer geartete Annäherung an Popmusik. Bliebe als allerletzte Ausfahrt okayer Dilettantismus, die Legitimation durch schiere Genialität, die sich dann aber doch irgendwann wenigstens im Songwriting niederzuschlagen hätte. Doch wo Witz werden sollte, ist Kalauer geronnen, und zu allem Übel teilen sich mittelalterliche Dorfgeschichten aus der Mark den aromatisierten Bolzplatz mit Saufgeschichten aus der problematischen Pinte von nebenan. Positiv gewendet: Social Beat kann jetzt singen, und wer sich schon immer lästigen Besuch aus Westdeutschland vom Hals halten wollte, nehme denen da draußen diese Platte auf, lege noch die „Lieder of the Pack“ von vor einem Jahr dazu und schicke sie, versehen mit einem klugen Kommentar wie „Techno ist tot, Henning ist der Hit!“ per Expreß und ohne Rückfahrkarte nach Buxtehude, Boblingen oder Buppertal.

Genau den gegenteiligen Effekt erzielt man mit einem Care- Paket voller Mellowbag. Rund um die Uhr bzw. around the clock haben sie im Boogaloo an ihrem Debütalbum „Around The Clock In A Day“ gearbeitet, das sich dann auch rund um die Uhr angenehmst durchhören läßt, vorzugsweise an frühen Freitagabenden nach Feierabend und vor dem Zug durch die Community. Supersmooth rollt es aus den Boxen, und wenn Cecile Didierjean seine französischen Raps entspannt vom Stapel laufen läßt, erinnert das eher an eine kinokompatible Spritztour im Cabrio durch die netteren Ecken von Paris-Belleville als an eine IAM-mäßige Patrouille durchs Marseiller Vorstadt-Gangland im umgebauten Jeep – und über allem scheint ein freundlicher MC Solar. Versehen mit dem nötigen Schuß Soul, angefunkten Bässen und einem durchweg tanzbaren Beat, kommen ihre Lyrics, die von den Droits de l'Homme, Respect und HipHop im allgemeinen berichten, gleich doppelt so gut, insbesondere da die Produktion das eher selten zu vergebende Prädikat „professionell“ durch und durch verdient. Nur Neidern käme da die Frage in den Sinn, wo denn bei so schnuckeligen Klängen und der nicht vorhandenen Holprigkeit da die Straßenglaubwürdigkeit – du darfst auch „street cred“ dazu sagen – bliebe und ob denn von einer gelungenen Scheibe auch mal mehr als dreihundert Exemplare über den Ladentisch gehen dürfen. Alle anderen schwelgen lieber in kosmopolitischem Lokalpatriotismus und freuen sich wie Bolle auf dem tiefergelegten Milchwagen darüber, wie elegant sich der unsinnige Metropolenwahn heutzutage in diese weiche Tasche stecken läßt. Gunnar Lützow

Der todtraurige Henning:

„Das Aroma der Wünsche“

(Concert Idee/Moloko Plus)

Mellowbag: „Around The Clock

In A Day“ (Downbeat Records/

WEA)