Elemente zeitgenössischer Musik Von Thomas Gsella

Die nicht bestechend kluge Leserfrage „Warum schreiben Sie?“ kontern Literaten gerne so: „Damit ich was zu lesen habe.“ Zum Glück kam nie ein Schwein auf die Idee, Maria Callas zu fragen: „Warum singen Sie?“ Nur darum mußte die schnippische Träller- Legende und Ulrike Meyfarth des Stimmbands niemals behaupten: „Damit ich was zu hören habe.“ Es wäre ja auch das gelogen.

Alle Literaten lesen viele Bücher, alle Singer hören viele Platten. Nicht alle Musikanten aber hören viele – zumal dann nicht, wenn sie sich wie ich vor Zeiten aus der Weltgemeinschaft der Fachsachverständigen ausklinkten und das ganze milbenhafte Markt- und Schrei- und Stilgewimmel nach John Mayall oder meinetwegen grad noch Dire Straits zu inzwischen nur mehr tausendstel Promillegraden überblicken. Nö, Ahnung von den neuen Gruppen („bands“) hab' ich seit strenggenommen '73 nicht – inklusive leider Teckno. Allzu junge Leute mögen ruhig ihr neumodisches Umsonstgeschwätz vom Apo-Opa intonieren, aber mir ist heute alles viel zu schnell, zu düster schrammelig und laut, und gut, daß da zumindest schon der graue Depri-Krächzer Kurt Cobain gestorben ist. Das war doch alles superfies und zusselich. Kurzum und sub specie aeternitas: Das bißchen Restmusik, was ich noch höre, das spiel' ich mir auf meiner E-Gitarre selber!

Nein, gar nicht wahr. Dreimal in letzter Zeit hab ich doch Fremdmusik gehört, davon zweimal im Fernsehen und eine nach der anderen: nämlich 1) Sir Elton John vor trauernden Briten, 2) Sir Heino Blöd vor trauernden Schlesiern, 3) den alten Straßenmusiker Horst vor sonnenbadenden Heidelbergern. Sir Elton jodelte, salopp gesagt, sich ja bekanntlich einen schnellen Heuler runter anbetreffs der Jet-set-Plunze, Hein Blind blies seine Sonnenbrille auf und köttelte vor ollen Faschodutteln sein Geöchze von den tollen Schollen – aber dann war Horst dran!

Mit einer Trageorgel vor dem Bauch näherte er sich auf krummen Linien dem Heidelberger Platzcafé mit Namen Weißichnicht, schlurfte eine Zeitlang stumm durch die Bestuhlung, setzte dann den rechten Mittelfinger auf die Tasten und begann zu spielen. Heraus kam, Zweifel war auf Dauer gar nicht möglich, eine extreme slow version von immerhin „Bonanza“, und gerade als das Publikum es insoweit begriffen hatte und sich freute, setzte Horst für etwa fünf Sekunden seine wackelige Stimme drüber: „O soolee mi- i-io! O -- mio, so-ole, alles kapu- utto, ächächäch, danke, ja, hier in den Hut. Rrrörgh krächz“, es hustete und polterte aus allen seinen Bronchen, ihm war vollständig wurscht, was genau er eigentlich sang und spielte, ihm sowie dem guten Publikum, und so liefen auch die folgenden Orgelparts zielsicher auf „Bonanza“ hinaus, und immer steuerte der Göttliche den einzig ihm präsenten Text hinzu „Oh, oh, mii-ii-oo, sool-ole kaputto, hähähähä! Was eine Scheiße! Jawoll, die Taler bitte ins Käppi, Amerikaner? Japaner, gutto ah! Sole mio! Ärgh, kröchs, hust, danke, multo gracie, gracia, merci kaputto, muchas gracias good bye thanks hust würgh, o sole mio hähähä!“ – nach fünf Minuten hatte er dann Geld beisammen, stopfte es in seine blaue Joppe und verschwand.

Ich finde: So geht es doch auch. Und Diana hätte es bestimmt gefallen.