Kammerspiel mit Janusköpfen

Wenn Gut und Böse die Gesichter wechseln: Verbrecherjagd kann im Zeitalter der High-Tech-Chirurgie ziemlich verwirrend sein. „Im Körper des Feindes“ von John Woo – eine Art Hongkong-Kino mit umgedrehtem Düsenantrieb  ■ Von Gudrun Holz

John Travolta witzelt über Speckröllchen, Nicolas Cage findet das gar nicht komisch. Aber das kommt später, erst einmal ist Travolta, der in heiklen Situationen stets ostentativ zu tänzeln beginnt und mit den Fingern gestikuliert, der FBI-Agent Sean Archer, ein leicht workaholischer und gesetzt wirkender Mann. Seit Jahren auf der Jagd nach dem bösartigen Gangster Castor Troy (Nicolas Cage), erlaubt ihm eine plastische Superoperation den Rollentausch. Und das geht so: Weil der Verbrecher beim jüngsten Zweikampf ins Koma befördert wurde, ersinnen FBI und chirurgischer Forschergeist eine List. Troys Gesicht wird in einer unappetitlichen Prozedur dem Komatösen mittels Laserstrahl ausgesägt und mit einer Saugglocke abgenommen. Samt Knorpelablagerungen wird in dieser Manier Archers Gesicht mit dem Troys vertauscht, Archer damit zu seinem eigenen Intimfeind. Auch Stimme und die besagten Rettungsringe wechseln den Besitzer. Aus Troy wird ein troyanischer Archer. Wie eine Karnevalsmaske aus Gummi bleibt sein vertrautes Gesicht zurück.

Längst mehr als eine Verbrecherjagd, ist das Szenario für den FBIler inzwischen eine Frage der Ehre und des Familiensinns, denn Troy tötete einst versehentlich den Sohn, und Archer hat seitdem eine Narbe im fülligen Brusthaar, die nach Rache schreit. Erst aber, als der Gangster plötzlich aufwacht und sich die übrig gebliebene Gesichtshaut schnappt, kommt die Geschichte in Gang. Gut und Böse tauschen die Visagen und starten zu einer absurden Jekyll-und- Hyde-Fabel durch.

Das doppelsinnige „Face/Off“ des englischen Titels meint einen Grundbegriff der Filme von John Woo, nämlich die Pattsituation von aufeinander gerichteten Waffen. Eine nervenaufreibende Sache, die zu den klassich einprägsamen Situationen von Gangsterepen wie „A Better Tomorrow“ (1986), „The Killer“ (1989) und „Bullet in the Head“ (1990), dem Mammutwerk über Vietnamkriegsbestialitäten und scheiternde Männerbünde, gehören.

Aus den Hongkong-Filmen Woos, die bei allem Splatteraufgebot doch eine hilflose Botschaft von verlorener Romantik und Harmonie transportieren, ist hier eine Art amerikanische Verkürzung mit Aussicht auf Happy-End gedreht worden. Auch wenn John Travolta nicht Chow Yun Fat, „The Killer“, ist, bringt er seit „Pulp Fiction“ jedenfalls den nötigen Stallgeruch mit. Da scheint der Griff in die Besetzungsliste des Genre-Adepten Quentin Tarantino nur recht und billig. Und so gelingt es Woo, Travolta und seinen Counterpart Cage zu einem humoristischen Verwechslungsduett vor tödlichem Hintergrund zu dirigieren. Beide spielen sozusagen mit doppelter Maske jemanden, der einen anderen spielt, der aber so aussieht wie der, den sie kopieren sollen, und schaffen die perfekte Illusion. Cage und Travolta üben das Kammerspiel der janusgesichtigen Charaktere.

Es gilt da eine Zeitbombe zu entschärfen, die Castor Troy und sein wahnhaft-genialer Bruder Pollux (Alessandro Nivola) präpariert haben, weshalb neben dem Camouflage-Plot ein dramatisches Wettrennen um die Zeit beginnt.

Ganz neu präsentiert John Woos dritter Hollywood-Film dabei die Familie als Handlungsort. Joan Allen als Archers Ehefrau Eve muß einiges, darunter einen ausgetauschten Ehemann und Bettgenossen, hinnehmen und trägt's aufrecht und duldsam wie eine Pilgrim-Mother. Bevor allerdings Archer/Travolta zum face off inmitten von tückischen Spiegelwänden anlegen darf, muß er erst noch anstelle des Feindes im Hochsicherheitsknast Qualen leiden, um Bruder Pollux das Bombenversteck zu entlocken. Ein großangelegtes Pistolenquartett ist auch noch zu absolvieren. In einer irrealen Kirche voller auffliegender Tauben, die unschwer an Chow Yun Fats malerischen Showdown in „The Killer“ gemahnt, läßt der Regisseur diesmal auch die Ehefrau, die Tochter (Dominique Swain) und die in „Bound“ thrillererprobte Gina Gershon als Gangsterbraut Sasha mittun. „Im Körper des Feindes“ ist eine seltsame Mischung aus Hommage an das klassische Hongkong-Genre und der Bemühung, die gängigen US- Filmklischees nahtlos unterzumischen. Hongkong mit umgedrehtem Düsenantrieb.

„Im Körper des Feindes“. Regie: John Woo. Buch: Mike Werb, Michael Colleary. Kamera: Oliver Wood. Mit John Travolta, Nicolas Cage, Joan Allen, Alessandro Nivola, Gina Gershon u.a. USA, 1997