Gebilde aus Wackelpudding

■ betr.: „Die weite Ferne von nebenan“, taz vom 18.9. 97

Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht? Anstelle von massiven Wörtern verwenden die Autoren Gebilde aus Wackelpudding, und man ist erstaunt, daß, ob der gewagten Konstruktionen, Sätze wie dieser nicht schon beim ersten Hinschauen auseinanderfallen: „Wenn sich aber affektive Bezüge zu Lokalitäten nicht als exklusive, sondern als komplementäre Bindungen entwickeln, dann wird dieses Verständnis einer komplementären Urbanität erhebliche Folgen für die Verkehrspolitik haben.“

Man hätte den gleichen Sachverhalt auch so ausdrücken können: Manche Leute halten sich gerne in ihrer gewohnten Umgebung auf, fahren aber auch genauso gerne irgendwo anders hin, so es ihnen denn möglich ist. Dadurch steigt das Verkehrsaufkommen.

Schreibt einer umständlich und gestelzt, dann hat er etwas zu verbergen. In diesem Fall spielt sicher eine Rolle, daß die Autoren von den die Verkehrspolitik bestimmenden, wirtschaftlichen Machtverhältnissen absehen. [...]

Eine Verkehrspolitik, der die Bedürfnisse der Menschen zugrunde liegen und die Rücksicht auf die Natur nimmt, hat unter kapitalistischen Bedingungen nicht den Hauch einer Chance. Die Konsumgewohnheiten der Menschen sind es ursächlich nicht, welche die „persönlichen Ökobilanzen“ zur Katastrophe werden lassen. Nachhaltiges und damit zukunftsfähiges Wirtschaften bedarf einer grundlegenden Umgestaltung der Produktionsverhältnisse. Von den ForscherInnen des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) kann man erwarten, daß sie diese schlichte Erkenntnis nicht nur beiläufig und zwischen den Zeilen erwähnen, sondern klar und deutlich propagieren. Wolfgang Maul, Nürnberg

Ganz so schlimm, wie im Artikel von Weert Canzler und Andreas Knie sehe ich die Situation nicht.

Die Forderung „(wieder) Zusammenlegung der Bereiche Wohnen, Freizeit, Arbeit, Besorgung“ ist und bleibt ein wirkungsvolles Mittel zur Verkehrsvermeidung bzw. -reduzierung. Oder anders ausgedrück: Würde das Prinzip der Mischnutzung, der Kiezgedanke nicht zunehmend bei der Stadt- und Landesentwicklung berücksichtigt werden, hätten wir noch viel mehr motorisierten Verkehr. Natürlich ist eine spürbare Wirkung einer geänderten Planung nicht sofort möglich. Siedlungsentwicklung ist etwas mittel- und langfristiges.

Außerdem sind die im Artikel skizzierten Verhaltensmuster zum Glück nicht typisch. Die so lebenden Menschen sind eine Minderheit und werden sie auch bleiben. Diese fallen im gesellschaftlichen Leben nur besonders auf, da es sich um Politiker, Manager oder „Yuppies“ handelt, die eben im Rampenlicht stehen. Der/die durchschnittliche Deutsche – dies gilt auch für andere industrialisierte Länder – fliegt nicht mal eben fürs Wochenende nach Mallorca.

Daß die Stärkung der kleinräumigen Stadtteile schon immer weniger motorisierten Verkehr erzeugen, belegt die Tatsache, daß der Motorisierungsgrad wesentlich geringer ist als auf dem Lande. Und daß es Ziel ist, ein Häuschen im Grünen zu besitzen, gilt nur für eine Minderheit. Zwar hat hier Berlin einen Nachholbedarf, aber in anderen westdeutschen Städten ist oft sogar das Gegenteil zu beobachten. In München zum Beispiel ist die Bevölkerung seit zirka 1970 weitgehend konstant, und in attraktiven Stadtteilen steigt sie sogar. Werner Schmidt, Sprecher des

Landes-AK Verkehr und Sied-

lungswesen B'90/Grüne Bayern