Wer, wie, was?

Wer nicht fragt, bleibt dumm  ■ Von Barbara Häusler

Fragen sind eine ziemlich merkwürdige Angelegenheit. Selbst wenn einem zuweilen dämmert, daß es unendlich viele davon gibt, kann man diesen meist leicht elegisch angehauchten Schauder beruhigt zur Seite wischen: Man hat sie ja schließlich nicht. Zum Glück. Trainiert vom Wasistdas? und Warum? der Kleinkindzeit, hat man vielmehr gründlich gelernt, das Fragen zu strukturieren und zu reduzieren, weil man ansonsten leider verrückt würde. Von den vielen Fragen und von den vielen Antworten natürlich auch.

Der durchschnittlich fragebegabte und -freudige Mensch hat es sich deshalb in der hübsch pragmatischen Einsicht bequem gemacht, daß eine Frage nur dann eine gute Frage ist, wenn es auch eine gute Antwort darauf gibt. Der Rest, sagt der Pragmatiker, ist Grübelei. Das ist nun aber ein bißchen gemein gegenüber den Fragen. Denn obwohl sie natürlich letztlich alle auf eine Antwort aus sind, ist das durchaus nicht ihr einziger Daseinszweck. Fragen haben Eigenschaften. Und damit Ziele jenseits einer simplen Antwort. Mit Fragen kann man beispielsweise wunderbar Leute an- oder zur Verzweiflung treiben. Das wird auch der Pragmatiker zugeben müssen.

Beim Fragen muß sich der Frager zunächst einmal entscheiden, ob er a) etwas bestätigt oder b) etwas erklärt haben möchte. Bestätigungssuchende Fragen („Haben Sie Bier?“) führen meistens auf das hier zu vernachlässigende Feld der einfachen Ja- Nein-Antworten – aber keineswegs immer („Ist der Typ nicht süß?“). Für die Erklärungssuche ist es dagegen unerläßlich, seine Frage mit einer Eigenschaft auszustatten. Hier hat der Frager natürlich die Qual der Wahl. Denn außer, sagen wir: vollschlank, kann eine Frage alles sein. Und womöglich auch das noch.

Machen wir es kurz. Fragen können sein: neugierig („Ehecht?“), hinterhältig („Wie findest du die Kelly Family?“), lebensrettend („Wo sind Ihre Tropfen?“), notwendig („Soll ich dir eine knallen?“), indiskret („Ist Ihr Busen echt?“), erlaubt („Möchtest du mein Eis haben?“), unerlaubt („Kann ich dein Eis haben?“), komisch („Sind heilige Kühe evangelisch oder katholisch?“), tödlich („Müssen wir das jetzt wirklich diskutieren?“) oder einsichtig, abseitig, unverschämt, irritierend – und das ist noch längst nicht alles, aber doch schon ziemlich beeindruckend. Nein?

Dann gibt es natürlich noch falsche Fragen („Kann mal jemand die Tür zumachen?“) und dumme Fragen („Wie konnte das denn jetzt passieren?“). Zu den dummen Fragen an einen selber gehört auch „Wie blöd kann man eigentlich sein?“, was aber ebenfalls eher eine falsche, weil rhetorische Frage ist, das heißt, man kennt die Antwort schon.

Kommen wir zu den Letzten Fragen. Unter Letzten Fragen versteht der einschlägig gebildete Mensch solche nach der Ewigkeit, Gott und dem Jüngsten Gericht. Der pragmatisch veranlagte Durschnittsfrager – der sich diesen Dimensionen schon aus purem Selbstschutz verweigert und sich höchstens an Weihnachten oder beim Blick in den sommerlichen Sternenhimmel derartigen Zumutungen stellt (s.o.) – versteht dagegen unter Letzten Fragen schlicht all das, was er nicht versteht, aber unbedingt verstehen will, bzw. all das, was er nicht weiß, aber unbedingt wissen will.

Letzte Fragen sind, mit dem Pragmatiker gesprochen, also die Letzten Wirklich Drängenden Fragen. (Weshalb uns der Pragmatiker plötzlich gar nicht mehr so blöd vorkommt wie am Anfang.) Letzte Fragen entstehen in einem von rätselhaften Phänomenen umstellten Alltag, den wir in der Regel frag- und klaglos hinnehmen, bis ein kleines, zufälliges, zunächst eigentlich unbedeutendes Ereignis oder eine Beobachtung diese scheinbare Selbstverständlichkeit außer Kraft setzen – und eine Frage produzieren. (Auf diese Weise entstand bekanntlich so etwas Nützliches wie die Dampfmaschine.)

Derartige Fragen quälen nun natürlich viel mehr als die nach dem ewigen Leben, weil sie den langen ruhigen Fluß des gegenwärtigen Lebens stören: Wie konnten die Römer mit ihren Buchstaben überhaupt vernünftig rechnen? Warum schmecken gekochte Kartoffeln am nächsten Tag so widerlich? Wieso findet man ein 39 Grad heißes Bad entspannend, einen ebenso heißen Sommertag dagegen unerträglich? Woher kommt das Magenknurren, und wie kann man es bei wichtigen Terminen unterdrücken? Warum sind längliche Luftballons viel schwerer aufzublasen als runde? Aber auch: Wie kann ich das genaue Gewicht meines Kopfes ermitteln? Oder unsere erste „Frage der Woche“: Was ist besser – in einem schönen Haus zu wohnen und auf ein häßliches zu gucken oder das Gegenteil?

Das sind die Wirklich Drängenden, also Letzten Fragen unseres Lebens. Individuelle Fragen, die sich aus dem Leben selbst ergeben, die man höchstens mal verschämt im engsten Freundeskreis zu stellen wagt. Fragen, von denen andere vielleicht noch gar nicht wissen, daß sie sie auch haben. Schluß damit. Schicken Sie uns Ihre Fragen. Oder Ihre Antworten auf die „Frage der Woche“ und die weiteren Letzten Fragen. Am besten noch heute. Denn schließlich wüßten wir derlei alle gern.