Schnipp Schnipp Schnipp – Schubidu!

■ Er hat sich von abgeschmackten Gassenhauern und albernen Ententänzen losgesagt: Der Berliner Jazzgitarrist Coco Schumann swingt heute mit Quartett in Worpswede

Einen Mann mit dieser Biografie im Rücken bringt eigentlich nichts aus der Fassung. Aber als Coco Schumann während eines Gala-abends zum dritten Mal den „Ententanz“spielen und bei der Gelegenheit zum dritten Mal ansehen mußte, wie die Direktorengattin im kleinen Schwarzen an ihm vorüberwackelte, da war selbst für Coco Schumann die Zumutbarkeitsgrenze überschritten.

Seit jenem denkwürdigen Abend im Jahr 1985 entlockt der heute 73jährige Berliner seiner riesigen Gibson L7-Gitarre keine albernen Ententänze mehr und auch keine abgeschmackten Gassenhauer über lachende Vagabunden und den schönsten Thekenplatz. Statt dessen spielt er wieder die Musik, mit der er sich als 13jähriger während eines Konzertes der damals bekannten Teddy Stauffer Big Band im Berliner Delphi-Palast infizierte und die ihn seitdem nicht mehr los ließ. Count Basie, Duke Ellington, Benny Goodman – das ist die Welt von Coco Schumann, der deutschen Swinglegende an der Gitarre.

„Entartete Niggermusik“nannten die Nazis abfällig das, was den kleinen Schumann so begeisterte, daß er Schlagzeug und später Gitarre zu spielen lernte. Und weil die bornierten Nazis das, was sie nicht verstanden, verboten – und das war bekanntlich vieles – mußte Schumann Nacht für Nacht heimlich im „Groschenkeller“und in der „Rosita Bar“am Kurfürstendamm spielen. Das war amüsant, spannend, subversiv – und lebensgefährlich.

1943 wurde der Sohn einer Jüdin schließlich verhaftet und nach Theresienstadt gebracht. Dort wurde er schnell Mitglied der „Ghettoswingers“, jener legendären Band, die zum Vergnügen der Nazis aufspielen mußte. Kurz darauf wurde er ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo es die Nazis amüsant fanden, Schumann zu zwingen, vor Gaskammern „La Paloma“zu spielen, während ihre Opfer in den Gastod marschierten.

Schumann hat nicht nur Auschwitz überlebt, er hat auch weiter Swing gespielt. „Denn die Musik“, bekennt er in seiner kürzlich erschienenen Autobiographie, „kann doch nichts dafür“. In der Band des Geigers Helmut Zacharias wurde er schnell berühmt, als Swinggitarrist von Fachleuten mit Joe Pass und Django Reinhardt verglichen. Heute abend spielt Coco Schumann im Quartett mit dem Saxophonisten Karl-Heinz Böhm, dem Bassisten Hans Schätzke und dem Schlagzeuger Heinz Niemeyer.

Auch wenn Schumann meint: „Solange ich Musik mache, habe ich keine Zeit, alt zu werden“, sollte man sich die Gelegenheit, den alten Mann des Swings live zu sehen, nicht entgehen lassen. zott

Coco Schumann & Quartett spielen heute abend um 21 Uhr (Einlaß 19.30 Uhr) in der Music-Hall Worpswede. Bei dtv ist in diesem Monat die Autobiografie „Coco Schumann – Der Ghetto-Swinger“erschienen; bei Trikont eine schön gestaltete Doppel-CD „Coco Schumann: double. 50 years in jazz“, mit 37 Aufnahmen, detaillierter Diskografie und umfangreichem Booklet