Nimm 'ne warme Jacke mit

■ „Les Arts Florissants“semi-inszenierten in der Glocke Purcells Semi-Oper King Arthur

Undenkbar lang her sind die Zeiten, in denen den Aposteln der Alten Musik-Bewegung nicht nur ideologische Sturheit unterstellt wurde, sondern – deutlich unter die Gürtellinie zielend – die Furcht der Unsinnlichen vor dem saftigen, großen Orchesterklang. Nebenbei wurde dezent, aber gehässig mit meckerndem Zeigefinger auf Sandalen und Indienrock gedeutet. Alles Schlurfer eben, auf ganzer Linie, äußerlich wie innerlich. Letzt-endlich seien sie für den Klassikmarkt technisch ganz einfach zu schlecht und graben sich ihre eigene, geschützte Nische.

Selten haben sich Vorurteile so wenig bestätigt. Längst hat die AM-Szene von einem einengenden Authentizitätsanspruch Abschied genommen. Durch die neue Unbeschwertheit konnte sie Maßstäbe setzen in Sachen Tempo, origineller Phrasierung und eigenwilliger Interpretation. Und ein Hort der Experimentierlust, von der Spielweise bis zu allen möglichen Cross-over-Repertoirvarianten, ist sie zwar nicht mehr so sehr wie vor zehn Jahren, aber doch noch immer. Spannend wäre es zu untersuchen, wie viele verschiedene Spielweisen für einen Auftakt in der AM-Szene kultiviert wurden.

Der sehr dominierende, ganz wunderbare erste Geiger von „Les Arts Florissants“zum Beispiel, wahrscheinlich heißt er Hiro Kurosaki, erobert einen Auftakt gerne mit großer Geste. Beim Ziel solch heftiger Attacke, dem neuen Takt, läßt er dann aber manchmal durchtriebene Zurückhaltung vorwalten. Betonen der Rhythmik und Lust an der Überraschung prägen sein Spiel.

Bei manchem Bogenstrich mit decrescendierender Logik setzt er kurz vorm Verenden des Strichs noch einen kleinen, unerwarteten Sonderimpuls. Er steht ein für das „Swingende“und „Rockende“in William Christies Truppe.

Die Gambe dagegen singt etwa so, wie es sich vor 20 Jahren viele AM vorstellten, unendlich weich, fließend, mit flexiblem Tempo rubato, besonders schön versonnen in den Schäferszenen. So bilden „Les Arts Florissants“bei der Aufführung von Purcells Semi-Oper „King Arthur“eine – gelungene – Symbiose von unterschiedlichen Musikerpersönlichkeiten, von intimen und zupackenden Klängen.

Auch bei den Sängern, übrigens ist fast keiner nur in Alter Musik zugange, läßt die Historische Aufführungspraxis Eigenheiten zu.

Das Emma Kirkby-Ideal engelhafter Reinheit ist nur noch eine Stimme unter vielen. Einer der Tenöre etwa spricht Wotan seinen Dank aus mit impulsivem, fast schon percussivem Tonansatz. Und eine der Sopranistinnen reichert besonders die leisen Töne mit faszinierend üppigem, differenziertem Vibrato an.

Nimm eine warme Jacke mit ins Konzert, riet ein Kollege, bei den Winter-Liedern fängt man richtig zu frieren an. Übers Barock, etwa die Triolenlachsalven in Bachs Lach-Kantate, dann weiter über die Mozartoper bis in die Gegenwart reicht der Spaß der Komponisten an knalligen Nachahmungen körperlicher Zustände, Lachen, Weinen, Torkeln, eben auch Frieren. Je einfacher die Mittel, desto deftiger der Effekt: Das Schütteln des Körpers übersetzt Purcell fast eins zu eins in ein repetierendes Durchrütteln der Musik. Und Les Arts zeigt viel Freude an Lautmalereien, ob nun einem melismatisch in die Höhe sich dehnenden „Anschwellen der Macht“oder einem lockenden „folgt mir“.

Nur eine Hymne auf das Verrecken im Krieg, „mutig sterbend“, klingt seltsam verhauchend. Fast so etwas wie ein Bekenntnis in Purcells federleichtem, ironisch-verschmitztem Kriegs-Liebes-Spektakel. Barbara Kern