HipHop aus dem Ehebrecherleben

■ Mit Heiner Müllers „Verkommenes Ufer“und so weiter serviert Thomas Bischoff ein karg-kühles Bremen-Debüt

Wie schön, ein Wiedersehen. Unser hochverehrtes, noch höher geschätztes und einziges Staatstheater ist aus der nachgerade ewigen Sommerpause erwacht und hat uns etwas mitgebracht. Neugierig wie immer Herr und Frau Beutler, lächelnd das Ehepaar Thein, erwartungsfroh auch die übrigen BesucherInnen des Bremer Schauspielhauses, die sich bekanntermaßen aus sieben Prozent theaterinteressiertem Bevölkerungsanteil rekrutieren – „mehr geht nicht“, sagt man im Hause. Neugierig, lächelnd, erwartungsfroh also – und munter, echt MUNTER auch der Autor dieser Zeilen darunter; mit Hinz und Kunz vereint in einem Gefühl, in einem Gedanken: Es ist Bescherung! Bescherung!!

Komm Süßer, stoß mich.

Unser Staatstheater eröffnet die Schauspielsaison „mutig“. Heiner Müllers kostengünstiges Drei-Personen-In-jedem-Satz-steckt-was-drin-Stück „Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten“steht in der Fassung des Jungregisseurs Thomas Bischoff auf dem Plan. Nicht viel länger als der Titel ist das Stück selbst: Rund zehn Seiten auf Papier, knapp 80 Minuten auf der Bühne des Schauspielhauses – inclusive Lektüre des informativen Programmhefts etwa 120 Minuten.

Was ist? Spielen wir weiter?

Die Welt ist schlecht, und Heiner Müller, der erste aller Hiphopper (und laut Programmheft auch der zweite aller Graffiti-Sprayer) schrieb und sampelte den Rap dazu. Die Hits stammen von Euripides („Medea“), Seneca („Medea“), Hanns Henny Jahnn („Medea“) sowie einem Schuß Heiner-Müller-Selbsttherapie, und weil der Herr Bischoff ein bißchen hinzusampeln wollte, rapte er einige Sprachfetzen aus Müllers „Quartett“hinzu, dem wiederum de Laclos („Gefährliche Liebschaften“) und wiederum ein Schuß Müller-Selbsttherapie zugrundeliegen.

Jaaaaaaaa-sssooonnnnnn!!!??

Apokalypse. Ehebruch. Der Augenblick, an dem Medea von Jason beschubst, beschissen, verlassen wird. Eine Amme als Alter ego von Jasons Neufrau, König Kreons Tochter Kreusa, und zugleich als gedoppelte Medea vervollständigt das Terzett. Die drei keine antiken Gestalten mehr, sondern Figuren aus unser aller Heiner-Müller-Ehebruchs-Leben.

Spielen wir? Was weiter?

Ungezählte Kleider an den Bühnenzügen, jede Menge abgelegtes, abgelebtes Leben surrt hinauf in den Bühnenhimmel (das karge Bild: Uta Kala), als das Terzett den Bretterboden betritt. Man tanzt, man schlurft: Jason (Christoph Tomanek) und die Amme (Susanne Schrader) aneinander verschmiegt, Medea (wie schön, ein Wiedersehen: Cornelia Kempers) leibesvoll im rosa Ballett-Tüll dahinter. Musik. Dann Schweigen. Dann wieder Musik. Und endlich Sätze, Pause, Monologfetzen, Pause, Stimmungsstatements, Pause. Wer nach einer halben Stunde auf die Uhr schaut, sieht bloß zwanzig Minuten vergangen, denn der kurzfristig für Dimiter Gotscheff eingesprungene Spielleiter Thomas Bischoff hat eine Versuchsanordnung inszeniert – mit viel Ordnung und wenig Versuch.

Jaaaaaaaa-sssooonnnnnn!!!??

Dabei machen die drei auf der Bühne ihre Sache nichtmal schlecht, sondern gut. Sie werfen sich die Brocken vor, sie tänzeln und tanzen und thronen. Sie donnern sich zwischen all den Pausen Wort- und Gefühlsbrocken vor den Latz. Und gelegentlich kommt aus der vorherrschenden, nur teildurchlärmten Kühle, die melancholisch sein soll, aber automatistisch ist, gar so etwas wie Sentiment, wenn die Medea etwas von der Angst in den Zuschauerraum splittern läßt. Oder so etwas wie Möglicherweise-Humor, wenn wieder Medea an die Pause nach einem Schreianfall auf sich selbst zeigend anschließt „das ist nicht Medea“. Magritte läßt grüßen; gut nur, daß die Kempers wie die Schrader und der Tomanek tatsächlich keine Pfeife ist.

Wer das Licht bringt, darf die Finsternis nicht scheuen.

Gewiß ist auch der Thomas Bischoff keine, aber hier hat er doch den Rührstab und das Bremspedal betätigt. Getreu der alten Schule, nach der alles Theater Lüge ist und darauf auch hingewiesen werden muß, gönnt er dem geschlossenen, karg choreographierten Gefüge keine Geschichte, keine Gemeinsamkeiten, allwo nur Brocken davon. Ein Apokalypse-Ehebruchs-Destillat mit Explosivkraft, aber ohne chemische Reaktion. Müllermacker. Müllerweiber. Stillstand. Ende. Auf Wiedersehen.

Christoph Köster

Weitere Aufführungen: 3., 12. und 26. Oktober im Schauspielhaus