Übergriffe aus Wahlkalkül vertuscht?

■ Justizsenator hatte schon 1994 Hinweise auf Mißhandlungen im Knast / Kripo-Beamte hatten ermittelt, durften aber offenbar mit Rücksicht auf die Bürgerschaftswahl nicht weiterarbeiten

Sind die skandalösen Zustände in der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen mit Blick auf die Bürgerschaftswahl im Mai 1995 vertuscht worden? Schon im Herbst 1994 hatte Justizsenator Henning Scherf (SPD) Hinweise darauf, daß im Knast unter Beteiligung von Beamten Häftlinge mißhandelt wurden. Und diese Hinweise stammten nicht etwa aus den zahllosen Beschwerdebriefen von Gefangenen, sondern sie kamen von der Kripo, die durch einen V-Mann informiert worden war. Ein Häftling sei von einem anderen Häftling geschlagen worden, notierten die Beamten am 6. September 1994 in einem vertraulichen Vermerk. „Die Besonderheit war dabei, daß die in der Vollzugsgruppe 3 tätigen Beamten die beiden in eine Zelle eingeschlossen hatten, damit diese Körperverletzung durchgeführt werden konnte. Hintergrund war, daß der Prügel erhaltende Insasse als aufsässig bezeichnet wurde. Er mußte zur Räson gebracht werden. Dazu bediente man sich eines anderen Mithäftlings. Dies geschah unter den Augen eines Beamten.“

Etwa einen Monat später, am 9. November 1994, saßen u.a. Kripochef Eckhard Mordhorst, der Chef der Bremer Staatsanwaltschaft, Jan Frischmuth, und Hans Wrobel, Senatsrat im Justizressort, an einem Tisch, um über den brisanten Vermerk zu sprechen. Die Kripo sollte weiter ermitteln, beschlossen die Herren. „Herr Wrobel unternimmt eine Unterrichtung des Justizsenator“, heißt es im Protokoll.

In den kommenden Monaten stieß die Kripo auf eine Reihe von Mißständen, die sich im Nachhinein als zutreffend herausgestellt haben: „Die bisherigen Ermittlungen haben ein Bild ergeben, wonach es in der JVA zu einer explosiven Situation kommen könnte“, mahnten die Beamten schon im Januar 1995. „Eine kleine Anzahl von Bediensteten hat, aus welchen Gründen auch immer, ein gewisses Eigenleben entwickeln lassen. Bei den aufsässigen Insassen wird selbst das Betätigen der Alarmglocke z.T. diszipliniert.“

Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen über Vorfälle im Jahre 1996 haben inzwischen tatsächlich ergeben, daß sich die Beamten, gegen die jetzt Anklage erhoben worden ist, an Häftlingen vergriffen, nachdem diese zuvor die Notglocke gedrückt hatten.

Diese Zustände haben offensichtlich über Jahre geherrscht und wurden geduldet. In einem weiteren Vermerk über die Zustände 1994 heißt es: „Der JVA Leiter Hoff verfügt zwar über die Unterstützung von Herrn Krieg (Abteilungsleiter beim Justizsenator), wird aber ansonsten innerhalb der JVA geschnitten. Die graue Eminenz ist dort Herr P., der dem Leiter JVA Informationen vorenthält.“

Eine Sondergruppe wurde eingesetzt. Der brisante Bericht, in dem u.a. die unsachgemäße Bearbeitung der Drogendelikte im Knast kritisiert wurde, lag im Juni 1995 vor. Zehn Tage später stellte die Gruppe ihre Arbeit ein. „Wir waren einfach fertig“, betont Kripo-Chef Mordhorst noch heute. Ein Behördenvertreter, der nicht namentlich genannt sein will, konkretisiert das so: „Den Beamten sind Handschellen angelegt worden, weil die Zustände im Knast dem Justizressort nicht in den Kram paßten und weil sie in den Wahlkampf hineinliefen.“

Der Bericht soll über die Polizeispitze an den inzwischen zurückgetretenen Justiz-Staatsrat Michael Göbel gegeben worden sein, davon geht man bei der Kripo aus. Danach mußte die Gruppe – angeblich auf Betreiben des Justizressorts – ihre Arbeit abbrechen. Der Kripo-Bericht wurde erst im September 1995 durch die Presse öffentlich. Göbel bestreitet diesen Zeitablauf. Erst nach der Indiskretion habe man im Justizressort von den Ergebnissen erfahren, sagte er gestern. Daß die Wahl im Mai 1995 die Ermittlungen beeinflußte, wenn auch in anderem Zusammenhang, haben auch die Beamten in ihrem Bericht festgestellt: „Zusätzliche Probleme durch die damals bevorstehende Bürgerschaftswahl konnten soweit unter Kontrolle gebracht werden, daß Veröffentlichungen unterblieben.“ kes