■ Normalzeit
: Bedenkliche Ämterhäufung

Laufend muß ich neuerdings zu irgendwelchen Behörden. Dabei fällt auf, daß immer irgend etwas nicht in Ordnung ist: d.h. nicht auf meine Existenz zugeschnitten. Wenn das schon bei meinem stinknormalen Deutsch- Leben so ist, wie muß das erst bei den Ausländern sein.

Zuletzt ging es um eine Bescheinigung vom Einwohnermeldeamt, um jemanden aus Asien einladen zu können. Die dortige deutsche Botschaft verlangt solch eine für das Visum. Im alten Amt in der Kreuzberger Friedrichstraße hatte sich seit 1969 nichts geändert – außer daß es jetzt eine komplette Nichtraucherzone war. Dafür hatte man im Treppenhaus die Fischdosen-aschenbecher durch neue rote Stehascher ersetzt. Und sommerbedingt waren nur drei von vier Meldestellenbüros besetzt, so daß man drei Stunden warten mußte, bis man mit seiner gezogenen Nummer dran kam.

Zeit, um seine Mitbewohner im Viertel genauer zu studieren: ein deutsch-türkisches Paar streitet sich über den Kauf eines Wagens. Schließlich holt sie die Zweite Hand und ein Handy raus und verhandelt mit mehreren Verkäufern eines Opel. Ihnen gegenüber sitzt eine kaugummikauende junge Türkin, die mit ihrem Handy alle Freundinnen auf der Arbeit anruft und sie der Reihe nach fragt: „Was machst du heute abend?“ Eine ältere Multikulti- reporterin läßt einen Beamten im Wartesaal rumfragen, wer einen Kinderpaß beantragen will. Eine Südamerikanerin und ein Araber melden sich und werden von ihr gefragt, ob sie was dagegen haben, dabei interviewt werden. Sie haben nichts dagegen.

Ein Asiate starrt die ganze Zeit auf die Nummernanzeige – nein: auf ein Plakat daneben: „Jubiläumskonzert – die Polizei singt und spielt für Sie!“ Zwei Berliner Handwerker nörgeln über die schleppende Bearbeitung und die gestiegenen Bearbeitungskosten: „Und wer zahlt mir den Verdienstausfall?“ Eine alte Frau fragt mich, ob Sie „hier richtig“ sei. Ein mit mir befreundeter Filmemacher hat seinen Paß verloren und noch einige andere Ausweise dazu, so daß er schon leicht fertig von den vielen Ämtern ist. Eine Chilenin liest Garcia Marquez, eine junger Russe Dostojewski und ein Lkw-Fahrer aus der Waldeck-Siedlung die BZ. Das ist die volle Wahrheit, ich kann es nicht ändern.

Als ich endlich dran bin, sagt man mir, daß ich keine Bescheinigung bekomme, ich müßte vielmehr eine selber schreiben – mit dem Inhalt, daß ich für alle Kosten einschließlich Krankenhausaufenthalt der betreffenden Person für die Dauer ihres Aufenthalts hier aufkomme – gemäß Paragraph Rumpeldipumpel des Ausländergesetzes: „Das schreiben Sie, genau so, wie ich es Ihnen gesagt habe und dann stempeln wir das hier ab. Gegen 7 Mark Gebühr. Diese Einladung schicken Sie dann zusammen mit einer Verdienstbescheinigung an die betreffende Person.“ „Das heißt also, daß ich jetzt nach Hause gehen und dann noch noch mal wiederkommen muß?“ „Ja, Sie müssen dann noch mal die selbe Prozedur hier durchlaufen!“

Als ich gehe, bemerkt der Beamte noch, daß mein Hauptmieter woanders gemeldet ist: „Ich hab ihn hier nicht drinne!“ Dabei zeigte er auf seinen Computer. „Das ist doch nicht mein Problem, ich muß ihm doch nur regelmäßig die Miete überweisen..." „Ich mein' ja man bloß!" Am nächsten Tag muß ich vier Stunden warten. Dafür sind meine Leidensgenossen diesmal noch interessanter. Ich erspare mir Einzelheiten. Als ich drankomme, sagt der selbe Sachbearbeiter wie am Tag zuvor – seufzend: „Ich glaube, ich bin zur falschen Zeit am falschen Ort geboren.“

Das sagt er aber nicht zu mir, sondern zu einem Anrufer, der ihn gefragt hatte, ob es auch ein farbiges Paßphoto sein dürfe. Als ich die Behörde verlasse, ist es bereits zu spät für das Finanzamt, wo ich einen weiteren Zahlungsaufschub argumentativ vortragen wollte. Helmut Höge

wird fortgesetzt