Man denkt wie im Mittelalter

■ Der Finanzexperte Benediktus Hardorp fordert ein für alle durchschaubares, von allen akzeptiertes Steuersystem

Benediktus Hardorp ist neben seiner Mannheimer Praxis in mehreren berufsständischen Gremien und Fachausschüssen tätig. Zu seinen Veröffentlichungen zählen die Bücher „Elemente einer Neubestimmung des Geldes“ (1958, 1972) und „Anthroposophie und Dreigliederung“ (1986) sowie zahlreiche Artikel zu fachlichen und anthroposophischen Themen.

taz: Herr Hardorp, Sie schlagen – mit anderen – die Umwandlung der derzeitigen Steuererhebungsform in ein „Konsumsteuersystem“ vor. Wie lautet Ihre grundsätzliche Kritik am Status quo? „Zu kompliziert“, „zu ungerecht“ oder beides?

Hardorp: Selbstverständlich beides. Gerecht ist nach meinem Verständnis, was transparent und sozial akzeptiert ist. Die Steuererhebung ist eine Art „Selbstfindungssystem“ der Gesellschaft, in dem sie immer wieder mit sich selbst ins reine kommen und bestimmen muß, was ihr wichtig ist und wofür sie Geld beschaffen will.

Unser Steuersystem, insbesondere das Ertragssteuerrecht, entspricht einer völlig veralteten Denkweise. Man denkt im Prinzip noch wie im Mittelalter, nämlich rein scholastisch, indem man immer alles aus einem juristischen Urgrund herleiten will. Die daraus entstehenden Besteuerungsformen sind nicht transparent, deshalb auch nicht sozial akzeptiert und damit ungerecht. Wir brauchen statt dessen ein System, das an naturwissenschaftlichen Denkweisen geschult ist und die Sachverhalte des Lebens beachtet.

Gibt es andere Staaten, die es besser machen?

Kaum. Möglicherweise orientieren sich die Angelsachsen etwas mehr an der Realität, aber eigentlich ist die Krankheit der Steuersysteme eine allgemeine.

Kroatien hat jetzt – jedenfalls der Idee nach – ein Konsumsteuersystem eingeführt, das von dem Heidelberger Finanzwissenschaftler Professor Manfred Rose entwickelt wurde – wofür man ihm dort auch einen hohen Orden verliehen hat. Nach den bisherigen Nachrichten soll es gut funktionieren, aber man kann es natürlich noch nicht endgültig bewerten. Jedenfalls findet es auch die Unterstützung der Bundesregierung, die interessiert ist zu sehen, was andernorts womöglich funktioniert.

Sie schlagen die Abschaffung möglichst aller Steuern zugunsten einer Konsumbesteuerung vor?

Nicht aller Steuern. Es geht nicht um eine „Alleinsteuer“, sondern um ein anderes Prinzip: Im Laufe des Wertschöpfungsprozesses, also während der Entstehung eines Produkts, sollte es keine Besteuerung geben. Die Unternehmenssteuern müssen also weg, weil sie ohnehin nicht von den Unternehmern getragen, sondern über die Preise auf die Verbraucher abgewälzt werden. Es ist ja überall so, daß jede Besteuerung einen Teil der gesellschaftlichen Wertschöpfung in die Hand des Staates, also der Allgemeinheit, bringen soll und daß dafür Bürger mit ihrem privaten Konsum entsprechend zurücktreten müssen. Wenn man es so betrachtet, dann ist jede Besteuerung letztendlich Konsumbesteuerung. Bei manchen Steuern, wie zum Beispiel der Mehrwertsteuer, sieht man das auch und kann die Höhe der Steuerlast beurteilen, während sich die Körperschaftssteuer, die dreißigmal weitergegeben wurde, in ihrer Höhe und Wirkung gar nicht mehr verfolgen läßt. Sie wird aber trotzdem weitergewälzt und bezahlt, und zwar vom Konsumenten.

Man muß sich also die Konsumbesteuerung in der Praxis wie eine Mehrwertsteuer als einen Anteil X am Preis aller Waren und Dienstleistungen vorstellen?

Genau; es gibt zuerst den Nettowarenwert, und dazu kommt die Steuerbelastung. So erfährt man, wie hoch die Steuer auf dem jeweiligen Verbrauchsweg ist. Man hat sich da im Verstehen nur noch nicht die notwendige Mühe gemacht, weil es immer heißt, die indirekten Steuern belasten vornehmlich die Armen, und mit den Einkommenssteuern träfe man vor allem die Reichen. Das ist ein schlichter Irrtum, denn diejenigen, die man treffen will, wälzen ihre Steuern ab, was diejenigen, die nicht soviel verdienen, gar nicht können.

Was ist das „Anthroposophische“ an der Konsumbesteuerung?

Also der Professor Rose beispielsweise ist kein Anthroposoph, der ist aus rein nationalökonomischen Einsichten auf diesen Weg gekommen. Ich habe meine Ideen schon vor ihm formuliert, Rudolf Steiner hat so etwas sogar schon 1919 zu Papier gebracht. Diese Denkrichtung ist keine Erfindung eines Einzelnen, und es gibt sie schon sehr lange. Sie ist im Moment nur politisch aktuell. Anthroposophisch ist daran das Hinschauen darauf, daß alle gesellschaftlichen Bedingungen zugleich Lebensbedingungen des sich entwickelnden Menschen sind. Das Ideal ist ja heutzutage, etwas so einzurichten, daß es möglichst „automatisch“ funktioniert und keiner mehr nachdenken muß. Der anthroposophische Ansatz ist: Es muß immer wieder auf die menschliche Entscheidung zulaufen, die Entscheidung der Beteiligten. Das, was getan wird, muß ihnen transparent sein, und sie müssen immer neu urteilen können, ob sie es so lassen oder ändern wollen.

Die Welt wird nur so moralisch wie die Menschen, die sie machen. Man kann durch Besteuerung und Gesetze keine Moral erzeugen, aber man kann gesellschaftliche Initiative fördern oder hemmen. Daß diese Blickrichtung eine gewisse Priorität hat, daß man sich auch unter Seele und Geist eines Menschen etwas vorstellen kann und daß dies nicht – wie meistens – eine Leerformel bleibt, ist vielleicht das Anthroposophische an der Sache. Ansonsten reden wir von Realitäten der Welt und des Menschen – wie alle anderen auch. Interview: Jochen Siemer