Die Erde schüttelt die Menschen

Bei zwei kräftigen Erdbeben im italienischen Umbrien kommen mindestens acht Menschen ums Leben. Die Basilika des heiligen Franz von Assisi ist schwer beschädigt  ■ Aus Assisi Werner Raith

Nach einem halben Dutzend leichter Vibrationen setzt man automatisch die Füße erst mal vorsichtig auf den Boden, bevor man richtig auftritt, immer bereit, unter den nächsten Tisch zu hechten oder zu kriechen oder sonstwie Schutz zu suchen. Als der mächtige Stoß dann wirklich kommt, überrascht er dennoch alle.

Eigentlich war die Journalistengemeinde vor allem angerückt, um die Schäden an den beiden Basiliken in der Franziskus-Stadt Assisi zu begutachten: Wertvolle Gemälde Giottos und Cimabues waren beschädigt worden, als vergangene Nacht um halb drei Uhr die Erde im italienischen Umbrien und den Abruzzen gebebt hatte. In der Provinz Macerata hatte es zwei Tote gegeben, ein älteres Ehepaar, dessen Haus eingestürzt war, dazu etwa vier Dutzend Verletzte. 5,5 auf der Richterskala hatte das Beben, sagten die Experten, und sie warnten: Die Spannung der Erdschollen sei noch keineswegs abgebaut, Nachbeben seien sicher – und das besonders in Umbrien. Und eben da liegt Assisi.

Um halb zwölf Uhr mittags ist es so weit. Gerade als uns die Kunstexperten den Zugang zu den beschädigten Sälen erlauben, kommt der erste Stoß, zehn Minuten später der zweite, verheerendere. An der Fassade, die wir gerade per Fernglas beobachten, brechen Steine ab; eine Fernsehcrew der RAI kommt aus den Gebäuden gestürzt, ihre Aufnahmen zeigen den Abbruch großer Teile des Deckenstucks. Ein Abgesandter des Ministeriums für Kulturgüter rast die Treppe herunter, dann wieder zurück, dann verschwindet er nach unten, kommt wieder herauf: „Ambulanz!“ ruft er „Ambulanz, eine Katastrophe!“ Wenig später verbreitet sich die Nachricht, daß mindestens zwei Mönche des hiesigen Klosters erschlagen wurden, vier weitere werden unter den Trümmern des Refektoriums vermutet, und auch einige Mitarbeiter des Zivilschutzdienstes werden vermißt. Noch eine halbe Stunde nach dem Beben rattern Steine und Ziegel über die Dächer herab. Polizisten hören über Sprechfunk, daß es in den Nachbarprovinzen ebenfalls Tote gegeben hat, insgesamt sind bei den Beben acht Menschen gestorben.

Dutzende Mönche stehen mittlerweile vor der Kirche, einige beten, einige fluchen, gemäßigt von einem Oberen, der sie zurückscheucht in ein Eck, das weniger exponiert ist. Radios quäken aus allen Ecken: Kein ungekochtes Wasser trinken, sagen die Behörden, beim Erdstoß nicht rausrennen, sondern abwarten, bis die herunterfallenden Gegenstände am Boden sind, sich nicht in der Nähe von Regalen aufhalten. Gas abschalten, sonst kann's knallen. Nicht telefonieren, damit die Leitungen frei bleiben.

Allmählich rückt jenes Thema ins Zentrum, das sich nach jeder solchen Katastrophe stellt: Gab es etwa zuwenig Sicherheitsvorkehrungen? Hätte man das Desaster vermeiden können? Die Menschen diskutieren, streiten; und allmählich scheinen sie das Beben selbst zu vergessen – bis dann gegen halb zwei noch einige leichtere Stöße erfolgen.