In Zingst auf der Halbinsel Darß versammelten sich gestern Deutschlands "Nationalparkbetroffene", um einen Bundesverband zu gründen. Die Einrichtung der Nationalparks im Osten im Jahre 1990, ein Streich der letzten DDR-Regierung, bewerten G

In Zingst auf der Halbinsel Darß versammelten sich gestern Deutschlands „Nationalparkbetroffene“, um einen Bundesverband zu gründen. Die Einrichtung der Nationalparks im Osten im Jahre 1990, ein Streich der letzten DDR-Regierung, bewerten Gegner als „Tritt gegen die Demokratie“.

Einig gegen die „Fessel Nationalpark“

Erinnert sich noch jemand an die Sache mit dem „Tafelsilber der deutschen Einheit“? Der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) soll es so formuliert haben. Er meinte damit die herrlichen Naturlandschaften des Ostens, die die neue große BRD 1990 mit einem Streich um fünf Nationalparks reicher machten.

Doch nicht alle belieben mit Tafelsilber zu speisen. 1993 ging der Ärger darüber auf dem Darß los, genauer: am Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft. In den Spätsommer hinein platzte damals ein Flugblatt: „Was brachten uns 3 Jahre Nationalpark?“ fragten die Bürger, die das Pamphlet verfaßt hatten. Ihre Antworten lieferten sie per Postwurfsendung an alle Haushalte gleich mit: er sei keine touristische Attraktion, er sei ein Tritt gegen die Demokratie, gegen die Menschen, künstlich erschaffen, und: „Der Nationalpark macht unsere Natur kaputt.“

Die Einrichtung zugunsten der Natur wurde nicht akzeptiert. Dabei sprachen die empörten Bürger nicht von konkreten Zielen, etwa von touristischen Großprojekten wie in anderen Regionen. Sie kamen vielmehr naturverbunden und harmlos daher: Die Angler wollten angeln, die Jäger jagen, die Wassersportler segeln und surfen, die Freizeitler Auto fahren und campen, die Förster Bäume fällen und Naturliebhaber den bäumevernichtenden Borkenkäfer bekämpfen. Jeder sprach von seiner Natur, und alle wollten rein. Und wenn tatsächlich wirtschaftliche Interessen im Spiel waren, dann hatten sie sich gut getarnt. Offensichtlich war nur, daß den Nationalparkgegnern die Schutzrichtung nicht paßte.

Im Jahre 7 der deutschen Einigung haben sich die Wogen nicht geglättet, im Gegenteil: Die erklärten Gegner haben sich formiert und in einer Gruppe zur „Erhaltung der heimatlichen Natur und Kultur“ zusammengefunden. An diesem Wochenende geht in Zingst die Gründung des „Bundesverbandes Nationalparkbetroffener e.V.“ über die Bühne. Alle sind dabei: die Gegner aller elf Nationalparks vom Bayrischen Wald bis zum Niedersächsischen Wattenmeer, vom brandneuen Nationalpark Elbetal bis hin zum seit Jahren geplanten Nationalpark Kellerwald im Hessischen. „Gegen den Widerstand der Menschen kann nichts eingerichtet werden“, sagt Klaus Dempwolf von der Initiativgruppe, „ein Nationalpark soll dorthin, wo er hingehört.“ Kulturlandschaft sei dafür ungeeignet. „Wir sind kein Yellowstone und haben keine Taiga im Rücken.“ Offiziell lautet das Programm: „Erhaltung und Entwicklung des Lebensraumes der von Konflikten betroffenen Regionen.“

Es wird Folgen haben, denn die Gegner wollen gegen Bundesländer klagen wie derzeit im Harzstädtchen Altenau. Hier läuft eine Normenkontrollklage gegen das Land Niedersachsen, weil die „Fessel Nationalpark“ die Bebauungsplanung einschränkt. Die Konsequenz könnte in der Umwandlung der Schutzgebiete in Biosphärenreservate oder Naturparks liegen, einfache Schutzmodelle, die kaum mehr sind als Etiketten für schöne Gegenden.

Natürlich war die Einrichtung der Nationalparks im Osten ein Coup, der von Anfang an die Geister scheiden mußte. Naturfans wie Horst Stern waren begeistert. Öffentlich schlug er vor, den Verantwortlichen ein Denkmal zu setzen. Denn sie (vier befreundete Naturwissenschaftler) hatten in Rekordzeit die Gebiete ausgewiesen und ihre Einrichtung als Nationalpark als letzten Tagesordnungspunkt der Regierung de Maizière durchgesetzt. Danach gab es keine DDR mehr.

Aber es gab nun solche Ruhezonen wie den Darß. Herrlich abgeschieden liegt dieser Zipfel Ostseestrand, geht irgendwie in Wasser über, keiner weiß so recht wo und wie, weil hier alles in Bewegung ist. Das Meer holt sich Land und Wald, und woanders schwemmt es neues Land auf und läßt Wald wachsen, ein amphibisches Schmuckstück und ein Eldorado für die gefiederte Mitwelt.

Aber auch im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft brummt der Tourismus. Die Strände sind endlos, sie sind feinsandig, und sie sind voll von Urlaubern. Von der Rostocker Mark Grafenheide angefangen über Fischland bis zur äußersten Spitze des Darß und bis über Prerow hinaus herrscht großflächig das reine Sommerglück. Auf dem Darß, dort wo der Nationalpark von der Schutzzone II in die Kernzone übergeht, radeln die Urlauber in großen Gruppen zu den Stränden.

Nur die Bilanz der letzten Jahre stimmt nachdenklich: Der engagierte Nationalparkleiter wurde im Zuge einer Neuverteilung von Zuständigkeiten zum Stellvertreter eines neuen Leiters degradiert. Und der ist ein Forstmann – nicht ganz so nutzungsversessen, wie Förster gemeinhin sind, aber auch nicht ganz so wildnisvernarrt, wie er es vom Schutzzwecke her getrost sein könnte. Die Jäger pflegen weiterhin ihre Trophäen im alten Darßer Wald, dem „Hirschbordell“ (Horst Stern). Eine neue Befahrensregelung für Boote weicht die erprobten Bestimmungen auf. Und auf dem riesigen Prerower Campingplatz im Nationalpark wird immer noch in den Dünen gezeltet. Zwar hat sich der WWF engagiert und einen alten Hafen der ehemaligen Nationalen Volksarmee vor den Begehrlichkeiten der Wassersportler gesichert. Aber er muß ihn als Nothafen weiterbetreiben und dafür regelmäßig freibaggern lassen. Und das mitten in der Kernzone.

Jan Baginski, der Vorsitzende des Vereins der Nationalparkfreunde, sieht den Widerspruch darin, daß Nutzziele in die Schutzziele integriert wurden: „Der Förderverein will nun sicherstellen, daß der Nationalpark keine Mogelpackung wird, sondern daß die internationalen Richtlinien durchgesetzt werden, die jeder anerkennt, der einen Nationalpark einrichtet.“

Doch andererseits ist nichts erfolgreicher als der wirtschaftliche Erfolg. Auf diese Nationalparkregion konzentrieren sich immerhin 20 Prozent des Bettenangebots MeckPomms, am Nationalpark verdienen viele: Bettenanbieter, Fischer und Schiffseigner. Radikal war der Naturschutz in Deutschland ohnehin nie. Kein Nationalpark war der Marktlogik gänzlich abhold. Nicht bloß auf dem Darß wurde Tourismus befördert. Egal wo, Touristen bekamen Infozentren und Aussichtsplattformen hingebaut, ihnen wurden bequeme Wege ausgewiesen und Schautafeln aufgestellt, und sie wurden gastronomisch betreut. Kein Nationalpark, der sich nicht die wirtschaftliche Förderung der Region durch touristische Entwicklung auf die Fahnen geschrieben hätte. Während die Parkgegner nun anrücken, um den Wildwuchs zu jäten wie der ordentliche Gärtner das Beet voller Unkraut, ziehen die Parkverfechter immer häufiger die Ökonomiekarte. Seit die Ökologie nicht mehr Thema Nummer eins ist, läßt sie sich offenbar nur noch über ihren ökonomischen Nutzen legitimieren. Selbst überzeugte Naturfreunde meinen heutzutage, daß nur Massentourismus die Natur schützen könne. Ein Plädoyer für die ökonomische Nutzung der Naturschutzgebiete und sicher ein Bärendienst an den Naturprogrammen. So ist eigentlich kaum noch auszumachen, wo die Fronten zwischen Parkbefürwortern und -gegnern wirklich verlaufen.

Das Wildnisprogramm stockt irgendwie. Entsprechend verhalten ist die Stimmung im Förderverein. „Ich kann nichts mit der Brechstange durchsetzen“, sagt Jan Baginski. Nun sieht man hier aber noch mehr Ärger auf sich zukommen. Diesmal sogar von seiten der Bundesregierung. Die will allen Ernstes die Vogelinsel Bock in der Kernzone als Jagdrevier sichern. Treibend sind da wohl die Jäger in der Bundesforstverwaltung. Vielleicht werden sogar Pläne realisiert, die gesamte Landzunge an einigen Stellen durchzustechen und den Bodden nach allen Seiten hin zu öffnen.

So richtig wehren wollen sich die Nationalparkfreunde nicht. „Wir wollen mit der Nationalparkleitung gemeinsam zum Ziel kommen“, so Jan Baginski. Es ist die konzentrierte Ruhe der Nationalparkbefürworter in Verteidigungsstellung.

Christel Burghoff