Labour feiert eine Party in Brighton

Tony Blair kann zur Zeit gar nichts falsch machen. Vor 23.000 Menschen will er sich und seinen Wahlsieg in dieser Woche auf dem Parteitag noch einmal feiern. Wohlverhalten ist angesagt, Kritik nicht gefragt  ■ Aus London Ralf Sotscheck

Heute beginnt im englischen Seebad Brighton die große Tony-Show. Auf dem Parteitag der britischen Labour Party, so will es Premierminister Tony Blair, soll der Wahlsieg vom vergangenen Mai noch einmal gefeiert werden. Kritische Stimmen sind da fehl am Platz. Blair ermahnte sein Kabinett, sich in Brighton anständig zu benehmen, da Labour auf dem Prüfstand stehe. Die Partei-Organisatoren sind davon überzeugt, daß Brighton in dieser Woche die größte Polit-Show in Europa erleben werde. Insgesamt werden sich 23.000 Menschen in das Konferenzzentrum quetschen.

An die Parteimitglieder erging ein Brief, in dem Blair davor warnt, Meinungsverschiedenheiten öffentlich auszutragen, wie es unter der letzten Labour-Regierung in den siebziger Jahren der Fall war. „Unser Versprechen, daß Labour niemals zu den alten Zeiten zurückkehren kann“, schrieb Blair, „muß in der Art und Weise demonstriert werden, wie der Parteitag als höchstes Parteigremium seine Geschäfte abwickelt.“

Als Teile der Parteibasis aufmuckten, sagte die Mitarbeiterin eines Abgeordneten aus Nordengland zur taz, ließ man doch noch einige kritische Anträge zur Debatte zu. Sie seien jedoch allesamt auf den Anfang der Woche gelegt worden, so daß der Parteitag harmonisch ausklingen könne. Viele Parteimitglieder befürchteten, daß die Parteitage immer weiter in die Bedeutungslosigkeit gedrängt werden, während die politischen Entscheidungen an der Spitze getroffen würden, sagte die Labour-Frau.

Bereits im Vorfeld des Parteitages sind verschiedene Punkte, die vielleicht für Unruhe gesorgt hätten, entschärft worden. Um den Geruch der Korruption loszuwerden, der vor allem durch die schottischen Labour-Büros weht, sind vier Stadträte aus Glasgow aus der Partei geworfen und fünf weitere des Amts enthoben worden. Sie sollen Stimmen gekauft haben. Gleichzeitig kündigte die Regierung eine weltweite Kampagne gegen Industrie-Korruption an. Bis vor zwei Jahren konnten britische Firmen die Gelder von der Steuer absetzen, mit denen sie Beamte geschmiert hatten. Großbritannien soll nun mit gutem Beispiel vorangehen und gegen solche Praktiken rigoros durchgreifen.

Und Schatzkanzler Gordon Brown hat seine Strategie gegen die Arbeitslosigkeit durchsickern lassen, die er heute vorstellen will. Ab Mai sollen Menschen unter 25, die mehr als sechs Monate arbeitslos waren, zwischen vier Möglichkeiten wählen können: ein Job, eine Fortbildung, Gemeindedienst oder eine Tätigkeit im Umweltbereich. Ab Juni erhalten Firmen einen Steuernachlaß von 225 Mark die Woche, wenn sie dafür jemanden einstellen, der seit mindestens zwei Jahren arbeitslos ist.

Neben der Schaffung von Arbeitsplätzen legt Brown seinen Schwerpunkt bis zu den nächsten Wahlen auf Abschaffung von Hungerlöhnen und bessere Aufstiegschancen für Arbeitnehmer. Dazu gehört eine komplette Überholung des Steuer- und Wohlfahrtssystems im Haushaltsplan für das kommende Jahr. Ein Ausschuß tüftelt zur Zeit an Zuschüssen aus dem Steuertopf für die untersten Einkommensschichten, die nach US-Muster direkt auf die Löhne geschlagen und nicht als Sozialbeihilfen deklariert werden sollen, damit sich der rechte Parteiflügel nicht über steigende Sozialkosten beschweren kann. „Das ist ein ernstgemeinter nationaler Kreuzzug gegen Arbeitslosigkeit und Armut“, sagte Brown.

Was die Wartezeiten im öffentlichen Gesundheitssystem – sie seien kurzfristig nicht zu senken, räumte Gesundheitsminister Frank Dobson ein – und die Studiengebühren von 3.000 Mark im Jahr angeht, ist Ärger vorprogrammiert. Bildungsminister David Blunkett argumentiert, daß sich die Zahl der Studenten seit 1989 verdoppelt habe und die Gelder pro Student dadurch um ein Viertel gesunken seien. Ohne bedeutende Zusatzeinnahmen seien die Universitäten zum Untergang verdammt, sagte Blunkett.

Aber das von Kritikern prophezeite Ende von Tony Blairs „Honeymoon“, seine Flitterwochen mit der Nation, ist längst nicht in Sicht. Der Premierminister hat einen untrüglichen Instinkt für populäre Maßnahmen zur rechten Zeit. Als das Krankenhauspersonal monierte, daß die Gehaltserhöhungen auf Inflationsausgleich begrenzt seien, verzichtete Blair auf die Gehaltserhöhung, die ihm gesetzlich zustand – umgerechnet immerhin 130.000 Mark. Und seine Minister, die zwar murrten, müssen ohne die 50.000 Mark zusätzlicher Diäten auskommen.

Seit seinem Amtsantritt läuft es wie geschmiert für Blair, der jetzt bereits den Grundstein für die Wiederwahl 2002 legen will. Morgen nachmittag wird Blair sein dreiteiliges Programm vorstellen, mit dem er ein Land schaffen will, „das erhobenen Hauptes zum Vorbild einer entwickelten Nation des 21. Jahrhunderts werden“ könne. Die drei Punkte: Ausbildung statt Niedriglohn, Abschaffung der Unterklasse und nach den Jahren der Tory-Isolationspolitik eine aktivere Rolle auf der politischen Weltbühne.

Blair kann zur Zeit gar nichts falsch machen. Die Tories sind vollauf damit beschäftigt, ihren eigenen Parteichef William Hague zu demontieren, und die Liberalen Demokraten sitzen mit am Labour-Tisch. Beim Liberalen-Parteitag vorletzte Woche war Parteichef Paddy Ashdown die Freude darüber anzumerken, daß Blair ihn in den Kabinettsausschuß zur Verfassungsreform eingeladen hat. Schon lange fordern die Liberalen eine Reform des Wahlsystems, denn bei proportionaler Repräsentation würden sie besser abschneiden als beim Mehrheitswahlrecht. Mit ihren 46 Unterhaussitzen haben sie im Mai zwar ihr bestes Nachkriegsergebnis erzielt, doch die Diskussionen um die Frage, ob man eine offizielle Koalition mit Labour eingehen solle, erscheinen vermessen. Weder braucht Blair die Liberalen, noch hat er ihnen eine Koalition angeboten.