Am Brenner scheiden sich die Geister

■ Interview mit dem österreichischen Verkehrsminister Caspar Einem über die Schwierigkeiten, mit EU-Mitteln eine möglichst umweltfreundliche Verkehrspolitik für die Alpenrepublik durchzusetzen

taz: Was hat sich seit dem EU- Beitritt Österreichs geändert?

Einem: Es ist nicht mehr möglich, nationale Verkehrspolitik zu machen. An diese Grenze stoßen wir vor allem bei der Brennerstrecke. Das andere ist, daß der Verkehr auf der Straße beträchtlich zugenommen hat und wir im Rahmen der EU nach wettbewerbskonformen und doch umweltschonenden Lösungen suchen müssen.

Ist das innerhalb der EU schwieriger geworden?

Es ist schwieriger, weil die Mitgliedsstaaten sehr unterschiedliche Interessen haben. Diese Interessen unter einen Hut zu bringen ist eine Herausforderung.

Wäre der Verkehr am Brenner ohne den EU-Beitritt geringer?

Die EU ist ein Wirtschaftsraum, in dem der Güteraustausch forciert wird. Das zweite ist, daß die Schweiz mit einer sehr restriktiven Verkehrspolitik dazu beigetragen hat, daß beträchtliche Verkehrsströme über Frankreich und Österreich ausweichen.

Welche Möglichkeiten hat Österreich, den Straßenverkehr am Brenner einzudämmen?

Wir haben bis jetzt eine Steuerung versucht, die für die Anwohner sehr erfolgreich war. Durch unterschiedliche Mautgebühren haben wir erreicht, daß nur noch vier Prozent der Lkw nachts über den Brenner gefahren sind. Das entspricht den Bedürfnissen der Anrainer und ist zudem effektiver als ein Nachtfahrverbot. Denn bei Verboten fahren immer noch elf Prozent: die, die Frischprodukte transportieren. Dieses System ist von der EU in Frage gestellt worden, sie will notfalls vor dem Europäischen Gerichtshof klagen.

Mit welcher Begründung?

Zum einen stößt sich die EU an der Höhe der Mautgebühren, vor allem aber hält sie das System für diskriminierend, weil die Maut nur zwischen Innsbruck und Brenner erhoben wird und deshalb den Transitverkehr stärker belastet als den heimischen Verkehr.

Was wollen Sie tun?

Wir müssen ein neues System finden, das von der EU akzeptiert wird. Das wird nicht leicht. Vor allem Deutschland und Italien drängen auf einen möglichst ungehinderten Verkehr.

Mautgebühren verteuern zwar den Straßenverkehr. Müßte aber nicht gleichzeitig die Bahn attraktiver gemacht werden?

Die Maut trägt zur Verlagerung auf die Schiene bei. Aber es ist richtig, wir müssen darüber hinaus die Bahn leistungsfähiger machen. Es müssen mehr Güterzüge zwischen München und Verona angeboten werden, und sie müssen billiger werden. Dazu brauchen wir Systemfinanzierung statt wie bisher Verkehrsträgerfinanzierung.

Was heißt das?

Denkbar ist eine gemeinsame Bewirtschaftung von Straße und Bahn auf diesem Korridor. Das heißt, das gemeinsam eingenommene Geld auf der Straße und auf der Schiene soll dafür verwendet werden, den Transport über die Alpen zu optimieren, auch unter Umweltgesichtspunkten.

Das wird die EU nicht so einfach schlucken. Behindert die EU vernünftige Lösungen?

Das ist ein zentrales Problem. In Tirol ist es heute sehr schwierig, den Bewohnern zu vermitteln, daß der EU-Beitritt eine gute Sache war. Andererseits beginnt auch die EU langsam umzudenken. In den Verhandlungen mit der Schweiz bewegen sich die EU-Verkehrsminister auf einen Konsens zu, der darauf hinausläuft, der Schweiz solche Korridorfinanzierungen von Straße und Bahn zu erlauben. Das heißt, daß auf der Straße mehr Gebühren erhoben werden dürfen, als zum Bau und Erhalt der Straße notwendig ist, um sicherzustellen, daß die Bahn leistungsfähig genug ausgebaut wird, um den Gesamttransportstrom wirtschaftlich aufzunehmen. Die Verhandlungen sind allerdings noch nicht abgeschlossen.

Kann die Europäische Verkehrspolitik auch ohne Druck zur Vernunft kommen?

Die EU hat ein Problem. Italien ist von einem Alpengürtel umgeben, der das Land vom Rest trennt. Wenn der Transport über diesen Alpengürtel auch noch durch hohe Gebühren belastet wird, ist der einheitliche Wirtschaftsraum aus italienischer Sicht nicht mehr gegeben. Das Argument hat leider etwas für sich. Deshalb müssen wir zu intelligenten Lösungen kommen. Wir dürfen den Transport nicht mit übermäßigen Gebühren verhindern, aber wir müssen auch die Interessen der Anwohner berücksichtigen. Die setzen sich sonst auf die Straße, und dann bricht der Verkehr überhaupt zusammen. Es bleibt nur eine Korridorlösung, bei der wir das eingenommene Geld für die Verbesserung des Schienentransports nutzen.

Welche Möglichkeiten hat Österreich, die EU zu einer anderen Verkehrspolitik zu drängen?

Wir müssen die Partner durch ständiges Miteinanderreden gewinnen. Wir haben die letzten Monate sehr intensiv mit Bonn, Rom und auch mit anderen EU-Partnern geredet und ihnen unsere Probleme bis ins Detail erläutert.

Läßt sich der deutsche Verkehrsminister so beeindrucken?

Wissmann kennt die Probleme selbst. Deutschland ist auch Transitland. Auf der anderen Seite sind ihm die Hände stark gebunden, weil die Bundesrepublik ein hohes nationales Güterverkehrsaufkommen hat. Jede Maßnahme gegen den Transitverkehr trifft auch seine eigenen Spediteure. Das macht die Sache nicht einfach.

Wären die Probleme am Brenner national leichter zu lösen?

Die Renationalisierung der Verkehrspolitik ist nicht die Lösung. Die Lösung ist, daß wir uns darauf besinnen, daß die Wähler nicht in erster Linie Spediteure sind, sondern Menschen, die an Straßen wohnen. Und für die haben wir Politik zu machen. Die Masse der Leute will weder im Stau stehen noch Tag und Nacht in einer Lärmhölle leben. Das ist in Holland oder Deutschland nicht anders als in Österreich. Interview: Alois Berger