Guter Länderrat ist teuer

Sieben Prozent treue Wähler im Westen, drei Prozent im Osten: Die Aussichten der Grünen bei der nächsten Wahl sind dürftig. Trotzdem fürchten grüne Politiker, daß die Basis eine reine Ökopartei bleiben will  ■ Aus Magdeburg Dieter Rulff

Eigentlich wollte der Länderrat der Bündnisgrünen an diesem Wochenende über die Schwerpunkte des Bundeswahlkampfes diskutieren. Doch die Delegierten des höchsten Gremiums zwischen den Parteitagen bekamen keine der Programmvorlagen der Facharbeitsgruppen der Partei zu sehen, sondern eine Brandrede ihrer Bundesgeschäftsführerin zu hören.

Heide Rühle erschien die bisher geleistete Arbeit „zu diffus“; die Wahlaussagen seien zu sehr nach innen formuliert. Es sei, kurz gesagt, ein „Wahlprogramm, das die grüne Identität bestätigt“, aber nicht die Botschaft vermittle, die Grünen seien reif für 1998.

Diese Reife sollte die Partei eigentlich auf den Feldern der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zeigen. Diese Bereiche werden, neben der Ökologie und Europa, die Schwerpunkte der Wahlkampagnen der nächsten Monate bilden. Die Bundestagsfraktion hat entsprechende Vorarbeit geleistet; allerdings findet sich die Partei in dieser Kontur nicht unbedingt wieder.

Heide Rühle beobachtet bei den Landesverbänden die Tendenz zu grünen Identitätsthemen. Diese Neigung, sich auf die Rolle einer Ökopartei zu reduzieren, hatte sich bereits negativ im Wahlkampf der Hamburger Grünen bemerkbar gemacht. Sie ist vor allem in den Kreisverbänden anzutreffen, und die verfügen maßgeblich über die Wahlkampfmittel. So treibt Rühle die Befürchtung um, diese könnten erneut die Plakate von 1994 kleben, weil ihnen die aktuellen Parolen nicht passen.

Die Bundesgeschäftsführerin hält ihrer Partei eine empirische Analyse vor, die der Soziologe Rüdiger Schmitt-Beck über „Wählerpotentiale von Bündnis 90/ Die Grünen und ihre Wahrnehmungen politischer Probleme“ erarbeitet hat. Darin wird den Grünen attestiert, daß ihr Kernwählerpotential Ende 96 bei sieben Prozent im Westen und bei mageren drei Prozent im Osten liegt. Etwa doppelt so hoch sei das „Randpotential“ derjenigen, die der Partei zwar zuneigen, dies aber nicht dauerhaft.

Wesentlicher noch ist für Rühle die Problemwahrnehmung der Wähler. Denn darin unterscheiden sich die Grünen-Anhänger kaum von den Wählern anderer Parteien. Es lassen sich zudem keine großen Unterschiede mehr zwischen Ost und West ausmachen. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, daß vor dem kommenden Bundestagswahlkampf in hohem Ausmaß die materialistischen Probleme der Wohlstands-, wenn nicht gar Daseinssicherung dominieren. Ökologie werde „von weniger als zwei Prozent der Wähler“ als wichtigstes Problem gesehen. Noch geringer sei der Zuspruch bei den Feldern Immigranten, Asyl und Kriminalität. Rühle folgert daraus, daß die Grünen wie die großen Parteien ihren Wahlkampf auf die „materialistischen Probleme“ zuspitzen müssen.

Die Partei hat zudem damit zu kämpfen, daß in zentralen Bereichen noch kein Konsens gefunden ist.

In der Arbeitsmarktpolitik standen sich auf dem Länderrat zwei Positionen gegenüber, die zwar beide von einem Rückgang der klassischen Vollzeitarbeitsplätze ausgehen, dem daraus entstehenden Dauerproblem der Arbeitslosigkeit aber mit unterschiedlichen Instrumenten begegnen wollen. Die Bundestagsabgeordnete Annelie Buntenbach will „die Vollbeschäftigungsgesellschaft neu definieren“ und zu diesem Zweck auch mit ordnungspolitischen Maßnahmen in die Tarifverhältnisse intervenieren. Ihr Vorschlag: Die wöchentliche Arbeitszeit soll gesetzlich auf 45 Stunden begrenzt werden. Zudem soll „sinnvolle Arbeit“, die der Markt nicht organisiert, mit öffentlichen Programmen gefördert werden. Diese Dauersubvention soll innerhalb von vier Jahren eine Million neuer Arbeitsplätze schaffen. Die Kosten, eine mindestens zweistellige Milliardensumme, sollen über die Ökosteuer finanziert werden.

Die ist allerdings parteiintern bereits für die Reform der Einkommens- und Unternehmenssteuer verplant. Nicht nur deshalb stößt Buntenbachs Position auf Vorbehalt. Die Potentiale solcher Beschäftigungsverhältnisse werden zum Teil weit geringer veranschlagt.

Die Parteisprecherin Gunda Röstel bemängelt zudem den nicht vorhandenen Übergang zum ersten Arbeitsmarkt. Die Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck steht einem so stark reglementierenden Eingriff in die Tarifautonomie skeptisch gegenüber. In ihrem Gegenentwurf setzt Beck eher auf „eine erhöhte Mobilität und Variabilität von Arbeit und damit auch von Arbeitsverhältnissen“. Sie will die Übergänge zwischen dem Erwerbssektor und anderen Tätigkeitsfeldern erleichtern und Arbeitszeitverkürzungen weniger durch Ordnungspolitik als vielmehr durch Anreize fördern.

Sowohl die Position von Beck als die von Buntenbach sind allerdings noch weit davon entfernt, die von Rühle geforderte „Zuspitzung“ zu leisten. Sollten die Grünen dies nicht hinbekommen, so Rühle, „werden wir zwischen SPD und CDU untergehen“.