Zauberischer Hintersinn des Kinos

■ Im „Iran-Special“zeigt das Filmfest vier strenge Fabeln, die sich dem Erzähler verdanken

„Könntest du selbst auch einen Film drehen?“, fragt Reza. „Sicher“, antwortet sein Vater, „mein Beruf ist aber wichtiger.“Würden die Filme ohne ihn doch bloß Staub ansammeln. Um das zu verhindern und weil er die Leute unterhalten will, reist der kleine Vertreter der staatlichen Kulturbehörde mit seinem Sohn jedes Jahr im Frühling in die Provinz und zeigt, was nicht verstauben darf: Charly Chaplin zum Beispiel. Mit durchaus selbstironischem Reflex ist Paper Airplanes von Farhad Mehranfar ein Film über den zauberischen Hintersinn des Kinos. Etwa dann, wenn er die Bilder des Lichtspielreisenden mitten in einen Baum projiziert oder auf die Frage, ob Filme lügen, nur verschmitzt lächelnd mit den Achseln zuckt.

Naheliegend und deutlich an der Tradition des Geschichtenerzählers orientiert, entwickelt sich auch ein anderer Beitrag des „Iran- Specials“. In Majid Majidis Children of the Heaven (Do, 2. 10., 17.30 Uhr, Abaton) verliert ein kleiner Junge die Schuhe seiner Schwester. Wie so oft sind es gerade die winzigen Gegenstände, welche die Dinge ins Rollen und in diesem Fall die zwei Geschwister auf ihren beschwerlichen Weg bringen.

Im Unterschied zu einem solch anrührenden Plot funktioniert Gabbeh von Mohsen Makhmalbafs weniger linear und eindeutig. Auf den Spuren eines in seiner Existenz bedrohten Nomadenstamms im Südosten des Iran verbindet der Film statt dessen verschiedene formale Bewegungen und Texturen. Wanderungen und dokumentierte Traditionen des Stammes wie das Weben der Gabbeh-Teppiche werden dabei zu dichten Mustern, in die sich die Geschichte der jungen Gabbehs rätselhaft einschreibt.

Unter den vier Beiträgen zum iranischen Schwerpunkt des Filmfests ist es Abbas Kiarostami, der mit seinem bereits in Cannes ausgezeichneten Film über den Geschmack der Kirsche (Mi, 1. 10., 17.30 Uhr, Cinemaxx 6) das filmische Erzählen am radikalsten betreibt. Ein Mann sucht mitten in einer wüsten Landschaft außerhalb Teherans seinen eigenen Toten-gräber. Aus dem Auto heraus – die Kamera neben und die stille Verzweiflung in sich – spricht er verschiedene mögliche Kandidaten an. Zuletzt sitzt ein alter Mann in seinem Wagen.

Es bleibt ungewiß, ob die wunderbar bildreiche Rede eines Alten, eine Geschichte von der eigenen Rettung und die hymnische Lobpreisung der Natur, den Entschluß des Lebensmüden verändern konnte. Statt dessen setzt Kiarostami einen nachdrücklichen Schnitt und erreicht, daß die streng konstruierte Fabel sich jeder trostreichen Innerlichkeit entzieht. Aber auch das ist – bei aller intellektuellen Schärfe und Distanz – eine Geste, die allein einem guten Erzähler gelingt.

Elisabeth Wagner