Zur Audienz beim Vater aller Musiker

■ Deo für Theo oder: Wie eine Aufführung von Schütz' „Geistlicher Chormusik“Fehlinterpreten widerlegt

Theodor W. Adorno meinte, wenn einen Musikwissenschaftler oder Musiker das Werk von Heinrich Schütz (1585-1672) mehr fessele als das von Richard Wagner, bezeuge das eine „elementare Unkenntnis kompositorischen Formniveaus“und er wurde nicht müde, alle Musik vor 1750, besonders aber die von Heinrich Schütz als „rudimentäre Vorformen“zu bezeichnen. Eine solch eklatante Fehlauffassung basiert sicher auch auf der Tatsache, daß Adorno Schütz durch die Singbewegung und die protestantische Kirchenmusik und nicht durch die historische Aufführungspraxis kannte, was das Werk des Komponisten nicht nur für Adorno ideologisch festlegte. Eine Aufführung von Manfred Cordes mit dem Ensemble Weser-Renaissance, die jetzt eine nicht ausreichend beachtete Perle im Musikfest war, hätte ihn eines besseren belehrt.

Die von Cordes ausgewählte „Geistliche Chormusik“von 1648 gehört gleichwohl zu Schütz' spröderen Werken. Schwer, wenn nicht gar unzugänglich, ist auch für den heutigen Hörer das calvinistische Gedankengut, an dem Schütz sein perfektes kompositorisches Handwerk exemplarisch entwickelt: Das Werk enthält das berühmte Vorwort, in dem Schütz die jungen Komponisten ermahnt, sich zuallererst der Handwerklichkeit des Kontrapunkts zu versichern.

Das komponiert er beispielhaft und das vollzieht „Weser-Renaissance“beispielhaft nach, wenn auch im zweiten Teil viel lockerer und überzeugender als im noch etwas zähen ersten. Aber in die geschlossene Welt von Heinrich Schütz, dem „Vater aller Musiker“– so der Pfarrer bei dessen Begräbnis – hineinzukommen, ist für die InterpretInnen nicht weniger schwer als für die ZuhörerInnen. Susanne Rydén und Mona Spängele, Sopran, Ralf Popken und Detlev Bratschke, Alt, Harry van Berne und Harry Geraerts, Tenor und Harry van der Kamp, Baß, die wunderbar ausgewogen sangen, ließen sich von einer wieder einmal – wie häufig beim Musikfest – namenlosen Instrumentalgruppe trefflich unterstützen. Zwei Violinen, vier Posauen, ein Zink, eine Chitarrone, eine Truhenorgel klinkten sich abwechslungsreich in den Vokalsatz ein, das Vertrauen der Auswahl, das noch Heinrich Schütz in seine Musiker hatte, wird man heute nicht mehr finden: „Der verständige Musicus wird mit deren Anstellung entsprechend zu verfahren wissen“, hatte er seine Partitur kommentiert. In der Tat waren die Bearbeitungen von Mandred Cordes überzeugend, Klangfarben wechselten ebenso wie kleine und große Besetzungen: Und alles formte sensibel die Schütz'sche Wortausdeutung nach. Man hört direkt die den Weinstock umschlingende Rebe, die Harmonik zu „schlafen“ist irrisierendes Bett, „alle“sind präsent durch die Menge der Töne. Das Publikum ließ sich gerne mitnehmen in eine historisch aufregende Materie: viel Beifall.

Ute Schalz-Laurenze