In schlechter Tradition

■ betr.: „Die Superflutschfunktio nieridee“, „Zartbitter wird nicht gefördert“, taz vom 22.9. 97

Aufgrund dieser Superflutschfunktionieridee der Vereine Zartbitter, Wildwasser und Co., durch die der allgegenwärtig vermutete sexuelle Mißbrauch, wie in dem Cartoon dargestellt, in die Köpfe kranker Menschen geraten ist, werden jährlich etwa 20.000 Menschen zu Unrecht beschuldigt, ihre eigenen Kinder oder Kinder in ihrer unmittelbaren Umgebung sexuell mißbraucht zu haben. Und siehe, es flutscht, wenn frau die Idee hat!

Es gibt dabei vier Hauptgruppen: Familienväter, deren Frauen sich von den Vätern ihrer Kinder auf billigste Weise im Rosenkrieg trennen und den Vätern das Sorge- und Umgangsrecht wegnehmen lassen wollen; Eltern in öffentlichen Erziehungseinrichtungen, deren MitarbeiterInnen gerade einen Kurzlehrgang bei Wildwasser oder Zartbitter hinter sich haben; weibliche Jugendliche, die durch die Beschuldigung des Vaters oder anderer männlicher Erziehungspersonen die Freiheit von zu Hause suchen und erwachsene Frauen nach sogenannten Erinnerungstherapien.

Die beschuldigten Menschen verlieren dadurch ihr Leben, ihre Freiheit, ihre Kinder, ihre Existenz, ihre Ehre, ohne daß die Verursacher mit Sanktionen rechnen müssen. [...] Horst Schmeil, Dipl.-Päd.,

Vorstand SKIFAS e.V., Berlin

Meine erste Fragen beim Lesen war, was will Frau Lau mit ihrem Artikel in der Rubrik Kultur eigentlich bezwecken. Soll das Ganze nun eine Buchbesprechung sein oder ist jener Artikel als ein Plädoyer für Herrn Wolff zu verstehen!? Oder handelt es sich hier um zwei Buchbesprechungen in einer?

[...] Weder finde ich in diesem Artikel Angaben von welchen Untersuchungen hier die Rede ist, noch was Frau Lau mit exorzistischen Tätervertreibungsritualen meint. Ich habe den Eindruck, daß Frau Lau nichts darüber weiß, welchen widerwärtigen Mißbrauchsszenarien Kinder ausgesetzt sind. Hat sie sich jemals die Mühe gemacht, Kontakt zu einer Beratungsstelle aufzunehmen, um sich ein Bild von der Arbeit und Verantwortlichkeit bezüglich des Schutzes von betroffenen Kindern zu machen? Frau Lau schreibt über die Einseitigkeit der Beratungsstellen, über fehlende Qualitätssicherung und Überprüfung dieser Einrichtungen. Wer bitte überprüft solche einseitige Berichterstattung, wer überprüft die vermeintliche Pädagogik des Herrn Wolff? Oder ist Frau Lau unbemerkt einem geschlechterhierarchischen Problem erlegen? Frau bewundert Mann, vor allem wenn er einen Professorentitel besitzt, anstatt sich mit der Materie auseinanderzusetzen und kritisch zu hinterfragen.

Übrigens Frau Lau, fachliche Kompetenz ist nicht durch Zusammenschustern eines Artikels erreicht. Gerlinde Schöning,

Wendepunkt, Beckum

Beim Lesen Ihres Artikels wurde ich nicht informiert, dafür aber verwirrt!

1. Sie verallgemeinern den Namen Zartbitter und vergessen darauf hinzuweisen, daß Zartbitter Coesfeld und Wildwasser Worms zwar mit den spektakulären Gerichtsverhandlungen in Worms und Coesfeld in Verbindung stehen, jedoch völlig unabhängig von Zartbitter in Köln agieren. Peinlich, denn Ministerin Nolte weist im Interview genau darauf hin.

2. Interessanterweise befragen Sie auch keine der Autorinnen der von Ihnen verteufelten Aufklärungscomics von Zartbitter, sondern spekulieren wild über deren Anwendung und sprechen sogar von „exorzistischen Tätervertreibungsritualen“. Woher nehmen Sie nur Ihr fundiertes Fachwissen?

3. Eine Qualitätskontrolle im Bereich der Arbeit mit sexuell mißbrauchten Kindern ist absolut wünschenswert. Nur vermisse ich sowohl in Ihrem Beitrag wie auch in den Zitaten von Prof. Wolff konkrete Anregungen zur Umsetzung einer solchen Kontrolle. Wer ist qualifiziert, wen wie und wann zu kontrollieren, und wer kontrolliert wann und wie die Kontrolleure? [...]

4. Die Tatsache, daß nur 800.000 Mark vom Familienministerium im Kampf gegen den sexuellen Mißbrauch bereitgestellt werden, empört Sie anscheinend nicht, sondern freut Sie, da sich so „der Schaden in Grenzen halten wird“. Wer schadet hier wem?

Die Folgekosten der Aufarbeitung des Mißbrauchs sind so enorm, daß 800.000 Mark pro Jahr hier wohl eher einen Tropfen auf den heißen Stein bedeutet. Kostet doch ein Heimplatz schon zirka 330.000 Mark pro Jahr. Oder sind Sie der Meinung, daß jegliche Auseinandersetzung mit Mißbrauch vergebens ist und nur Menschen wie Tilmann Fürniss und Ursula Enders eine solche „Omnipräsenz“ voraussetzen, um sich Stellen zu verschaffen?

So stellt sich mir die Frage, was genau Sie mit Ihrem Artikel erreichen wollten: Sollte er über die Gefahren der falschen Anwendung von Material zum Thema Mißbrauch hinweisen? Sollte er das Familienministerium kritisieren, da es seine Gelder falsch verteilt? Oder sollte er einfach alle Leser in mehr Unklarheit stürzen als bisher, da die Fakten verworren und zusammengestückelt dargestellt wurden? [...] J. v. Weiler, Berlin

Wieder einmal hat die taz einer Redakteurin breiten Raum gegeben, ihrer Unwissenheit über feministische Beratungsstellen zu sexueller Gewalt und die Angemessenheit von Präventionsprogrammen Ausdruck zu geben und dabei die Arbeit von Feministinnen in Mißkredit zu bringen. Damit bleibt die taz in der schlechten Tradition der vergangenen Jahre von Bild bis Spiegel.

Worum geht's? Auf der einen Seite um einen Comic für Kinder, den MitarbeiterInnen von Zartbitter Köln erstellt haben. Ziel des Buches ist es, Kindern Anregungen zum Umgang mit alltäglichen sexuellen Belästigungs- und Gewaltsituationen zu geben. Auf der anderen Seite geht es in dem Artikel von Mariam Lau darum, daß die Herausgabe dieses Comics vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanziell unterstützt wurde. Beides findet Lau „spektakulär“ (so sehr, daß sie dieses Wort gleich dreimal hintereinander benutzt). Warum?

Offenbar gefällt ihr weder der Comic noch die herausgebende Beratungsstelle. Letztere ist für sie eine „Einrichtung ..., die spätestens seit den großen Mißbrauchsprozessen in Worms und Münster in recht zweifelhaftem Licht erscheint“. Anscheinend weiß Frau Lau nicht, daß es sich hier um unabhängige Vereine handelt und Zartbitter Köln weder für die Arbeit von Zartbitter Coesfeld noch für die von Wildwasser Worms verantwortlich ist. Wie peinlich für die taz, daß Ministerin Claudia Nolte hier besser differenzieren kann als die eigene Redaktion.

Besonders ärgerlich ist, daß mit diesen Äußerungen auch die taz in den Tenor einstimmt, der alles, was in den genannten Mißbrauchsprozessen (Coesfeld/Münster bzw. Worms/Mainz) schief gelaufen ist, den jeweiligen Beratungsstellen anhängt. Mögen diese auch tatsächlich Fehler gemacht haben (wir können das nicht beurteilen, wir waren nicht dabei), sie sind nicht die Verantwortlichen dafür, daß Kinder möglicherweise zu Unrecht aus Familien genommen wurden oder Männer und Frauen zu Unrecht verhaftet wurden! Über ersteres entscheiden Jugendämter und Vormundschaftsgerichte, über letzteres Staatsanwaltschaften und Gerichte.

Nun zum zweiten Kritikpunkt von Lau – dem Comic. Sicherlich läßt sich darüber streiten, in welcher Form Prävention von sexueller Gewalt angemessen ist. Mariam Lau muß sich aber den Vorwurf gefallen lassen, daß sie nicht einmal begriffen hat, daß es darum und nicht etwa um Sexualaufklärung geht. Das ist etwas ganz anderes! Und wer würde sich bei einem Comic zur Aufklärung über Gefahren im Straßenverkehr darüber aufregen, daß lediglich gefährliche Situationen im Straßenverkehr dargestellt werden? Die im Comic beschriebenen Situationen, in denen Kinder Belästiger abwehren, als „exorzistische Tätervertreibungsrituale“ zu beschreiben, ist ebenso effektheischend wie übertrieben.

Nicht zuletzt geht uns die Hutkante hoch, wenn als Fachmann zur Beurteilung von Präventionsprogrammen und spezialisierten Beratungsstellen Reinhard Wolff herangezogen wird. Den würden wir als „zweifelhaft“ bezeichnen. Hat er sich doch in den letzten Jahren sehr durch polemische Verurteilungen feministischer Arbeit zum Themenbereich sexueller Gewalt gegen Kinder selbst disqualifiziert.

Uns geht es nicht darum, daß die taz feministische Arbeit kritiklos gutheißen soll. Wir selbst hinterfragen immer wieder selbstkritisch unsere Ansätze. Was wir aber von der taz erwarten, ist, daß sie besser recherchiert und nicht in pauschaler Spiegel-Manier alle feministischen Angebote über einen Kamm schert und ihnen die Verantwortung für Dinge zuschreibt, die sie nicht zu verantworten haben. Außerdem wundern wir uns sehr darüber, daß selbst in der taz die Grenzen zwischen freiwilliger Sexualität und sexualisierter Gewalt noch immer verwischt werden. Maren Kolshorn, Frauen-Notruf

Göttingen

Es macht so müde, immer wieder mit diesen Plattheiten konfrontiert zu werden. Warum muß die Autorin eine ganze Seite in einer Tageszeitung mit ihrer so wenig qualifizierten, unfachlichen Meinung füllen, wenn es doch eine ganze Reihe Ansatzpunkte für inhaltliche Auseinandersetzung und Kritik gibt. [...]

Es gibt Sinnvolleres als diesen uninformierten Rundumschlag auf Beratungsstellen, die zwar das gleiche Ziel verbindet – gegen sexualisierte Gewalt zu arbeiten –, die dies aber mit unterschiedlicher Ausstattung und Konzeption tun. Gerade wenn Qualitätssicherung das Anliegen der Autorin ist – und wer hätte diesen Begriff in letzter Zeit nicht schon gründlich durchgekaut –, dann sollte sie die Ministerin nicht fragen, ob sie die kritisierten Beratungsstellen finanziert, sondern sie sollte danach fragen, ob die zuständigen Ministerien in der Bundesrepublik ein Konzept haben, wie sie gedenken, Mädchen und Jungen vor sexuellem Mißbrauch zu schützen und ob sie dies als eine wichtige Aufgabe im Rahmen der inneren Sicherheit betrachten.

Es läßt sich auch darüber streiten, ob das vorgesellte Bilderbuch – eines unter vielen – noch nötig ist oder ob zum heutigen Zeitpunkt andere Initiativen zur Prävention sinnvoller wären. Einiges an dem, was dieses Buch Mädchen und Jungen vermittelt, hat sich bewährt und ist unterstützenswert, zum Beispiel die Reaktion auf sexuell belästigende Telefonanrufe. Andere Beispiele sind unrealistisch in ihrem Optimismus. Die alltägliche Realität von Mädchen und Jungen sieht nicht so aus, daß Eltern konsequent unterstützend auf ihre Probleme eingehen. Keinesfalls jedoch sollten Kinder dazu aufgefordert werden, sich in die Konfrontation mit einem Exhibitionisten zu begeben, denn das Risiko ist nicht einschätzbar und die Aufforderung daher verantwortungslos. Diese inhaltlichen Fragen diskutiert die Autorin nicht. Sie zieht es vor, einem Bilderbuch, das sich sexuelle Übergriffe zum Thema setzt, vorzuwerfen, daß es das Thema nicht verfehlt. Barbara Kavemann, Berlin

Wir protestieren gegen die „Kultur“-Seite 15, denn es wird ausschließlich verleumdet und diffamiert. Sie betreiben (leider nicht zum ersten Mal) eine Art Sippenhaft-„Philosophie“, indem Sie zum Beispiel den Fall Worms ansprechen und sämtliche existierende Beratungsstellen von Wildwasser bewußt und vorsätzlich mit einem Fall zusammenbringen, um die Schlußfolgerung nahezulegen, es handele sich bei Wildwasser generell um so etwas wie verantwortungslos agierende Falschmelderinnen in Sachen sexualisierter Kindesmißhandlung. Damit nicht genug: Sie werfen obendrein Zartbitter Köln e.V. in einen Topf mit einer Beratungsstelle, in der eine Mitarbeiterin einen Skandal wie Worms verursacht hat. [...]

Sie werten Frauen, die professionelle Arbeit leisten, gezielt ab: In Ihrem tendenziösen Artikel führen Sie (wieder einmal) den „Pädagogikprofessor“ Reinhard Wolff als Superexperten ein und subsummieren professionelle Beraterinnen und Therapeutinnen unter die Kategorie „Selbsthilfegruppen“. Die sachlichen Fakten sehen anders aus. Zum einen ist Herr Wolff lediglich FH-Professor, zum anderen ist Frau Enders Diplompädagogin.

Der Comic „Laß das“ ist ein bloßer Aufhänger für das wahre Anliegen, nämlich einer Demontage professioneller Helferinnen. Eine Besprechung von „Laß das“ findet nicht satt, denn 1. stellt die Autorin eine falsche Behauptung auf, nämlich: es handele sich um eine Aufklärungsbroschüre, 2. nimmt die „Besprechung“ den geringsten Teil der Seite ein, und 3. ist sie eingebettet in eine erneute „Mißbrauch gegen den Mißbrauch“-Kampagne und in eine Hommage an den „wahren Experten“.

„Laß das“ ist keine Aufklärungsbroschüre. Genauer gesagt: In „Laß das“ geht es nicht darum, Kinder über Sexualität aufzuklären, weshalb sämtliche „Kritikpunkte“ der Autorin, die sich auf Sexualität beziehen, zu streichen gewesen wären. Ob sie nun über das angeblich „spektakuläre Weltbild“ der Autoren „philosophiert“ oder den Begriff von Aufklärung (den Zartbitter angeblich hat) geiselt. Was die Autorin hier leistet, ist lediglich der Aufbau eines Strohmanns, den sie anschließend – aus welchem Grund auch immer – demontieren möchte.

Fatal ist die wilde Unterstellung, es handele sich um Sexualaufklärung, aber vor allem deshalb, weil ein Mythos weiter propagiert wird. Der Mythos, sexualisierte Mißhandlung habe etwas mit Sexualität zu tun. Die Autorin zeigt, daß sie hier hohen Aufklärungsbedarf hat! [...]

Der ganze Artikel ist eingerahmt von Bezugnahmen auf den für die Autorin „wahren Experten“ Reinhard Wolff, der mit Rutschky & Co. von der taz kontinuierlich und seit Jahren eine quasi unantastbare Fachkompetenz in Sachen sexualisierter Kindesmißhandlung bescheinigt bekommt; weshalb sie auch permanent zu Wort kommen und niemals einer Kritik ausgesetzt werden. Die Tatsache, daß das Wolff-Rutschky- Tandem nebst ihrer zahlreichen Gefolgschaft sich u.a. vom „Mißbrauch mit dem Mißbrauch“ nährt, ist bekannt. Die dahinterliegende Motivation wurde von der taz niemals kritisch hinterfragt. Der dahinterliegende Sinn ebenfalls nicht, nämlich die spannende Frage, was die Fokussierung auf den Falschanzeigen-Mythos (der im übrigen nicht besagt, daß es keine Falschanzeigen geben könne! oder: daß diese nicht fatal seien) bewirken könnte.

Aus der Vergewaltigungsforschung wissen wir, daß mehrere US-amerikanische und deutsche Studien unabhängig voneinander zu ein und demselben Ergebnis gekommen sind. Danach beträgt die Prozentzahl der Falschanzeigen bei Vergewaltigungen zwei bis drei Prozent. Das heißt: 97 bis 98 Prozent der Anzeigen sind wahr. Ohne hier eine weitere Dunkelziffer- und Dunkelfeldforschung (zum Beispiel für den „häuslichen“ Bereich) reflektieren zu wollen, können wir anhand dieser empirischen Daten eine wesentliche Aussage machen: Die Fokussierung auf die zwei bis drei Prozent (also auf einzelne Fälle) blendet die 97 Prozent der Opfer aus; und damit das tatsächliche Problem: massive Gewalt gegen Frauen und/oder Kinder. Daß eine solche Ausblendung unverantwortlich ist, sollte man nicht begründen müssen. Daß die Fokussierung via Skandalisierung (und umgekehrt) das Dunkelfeld breiter macht, weil Angst geschürt wird und in der Folge noch weniger couragierte Bürger und Bürgerinnen zu Hilfe bereit sein werden, sollte eigentlich auch nicht so schwer zu verstehen sein. Nichtsdestotrotz werden einzelne Fälle von Falschanzeigen stärker beachtet als die zahlreichen Fälle schwerster Menschenrechtsverletzungen. [...] Monika Gerstendörfer,

Dipl.-Psych., Country Expert

des European Centre on Vio-

lence against Women in Brüssel

Da versuchen Frauenprojekte über Jahre öffentliche Gelder und Anerkennung für ihre Arbeit zu bekommen und dann stimmt ihr in eine sehr platte Diffamierungskampagne mit ein! Nur weil zwei dieser Einrichtungen auch in äußerst problematische Prozesse verwickelt waren, heißt das noch lange nicht, daß ihre Arbeit prinzipiell schlecht und undifferenziert ist. Daß die Problematik des sexuellen Mißbrauchs diffizil ist, ist ja unbestritten. Aber ohne die Arbeit von Zartbitter/Wildwasser wären wir sicher nicht so weit wie wir heute sind. Mit diesem Interview hat die taz leider mal wieder unter Beweis gestellt, daß sie dazu neigt, den feministischen Blick der androzentrischen Perspektive unterzuordnen! Von meiner Zeitung erwarte ich hier anderes! Rose Wecker, Dortmund