Bitte nicht „anhitlern“!

■ Bundesweite Tagung über Streetwork mit rechten Jugendlichen / Opas straffe Organisationsformen sind out, die fließende Szene ist in / Internet als info-Schiene

In Bremen arbeiten im Rahmen eines seit Jahren bundesweit beachteten Projektes sieben Streetworker gezielt mit rechten Jugendlichen. Wer Kontakt zur Szene sucht, muß sich zu den Treffpunkten der Kids begeben, seitdem 1992 ein rechtes Jugendzentrum in Huchting in Flammen aufging. „Wir sind immer nur Gäste im Lebensraum der Rechten“, sagt Wolfgang Welp, Streetworker in Bremen. Sein Alltag: Im Stadtteil um den Block ziehen, am Tresen oder auf Spielplätzen stehen und quatschen. Zu siebt decken die Mitarbeiter des „Vereins zur Förderung Akzeptierender Jugendhilfe“ein ganzes Bundesland mit ihrem Beratungsangebot ab.

Um die 100 Teens und Twens können von ihm und seinen Kollegen erreicht werden. Weitere 200 werden zum Umfeld der Betreuten gezählt. Ein Tropfen auf den heißen Stein, denn es gibt weitaus mehr potentielle „Kundschaft“allein in der Hansestadt. Letzte Woche trafen sich Streetworker aus ganz Deutschland im Lidice-Haus, um sich über neuste Trends und Probleme in der Jugendarbeit mit Rechten zu unterhalten.

„Rasante Veränderungen“hat Andrea Müller vom Lidice-Haus in der Szenearbeit mit Rechten in den letzten paar Jahren ausgemacht. Mit dem Aufkommen von Infotelefonen und Internet veränderten sich die Rekrutierungsmechanismen in der Szene. „Heute bedarf es keiner Mitgliedschaft in irgendeinem rechten Verein, um an die Szene angebunden zu sein“, sagt Müller. Mit der Vereinzelung und Sprunghaftigkeit der Klientel wird auch die Kontaktsuche schwerer: die Meinungsführer sind nicht leicht zu finden.

Die Streetworker machen keinen Hehl daraus: Ihnen geht es nicht nur um Händchenhalten – sie wollen Einfluß auf die politische Orientierung der Kids nehmen. Allerdings nicht mit der Brechstange und nur bis zu einem gewissen Punkt. Doch welche Methode die richtige ist, konnte abschließend wohl auch bei dem diesjährigen Treffen der Sozialarbeiter nicht geklärt werden. „Früher war zum Beispiel immer umstritten, ob man sich auf die direkte Arbeit mit rechten Organisationen einlassen kann – heute ist das egal“, meint Streetworker Wolfgang Welp. „Die Organisationen der Rechten sind für die Jugendlichen uninteressant geworden. Bei Action ziehen die noch mit, aber feste Strukturen oder Funktionäre werden abgelehnt.“In der Jugendsprache heißt das: „Wir lassen uns nicht anhitlern.“

Rechts sind sie trotzdem. Doch selbst wer ultrakonservative Weltbilder mit sich herumschleppt – die meisten schätzen ihre eigene Haltung als unpolitisch oder mainstream-kompatibel ein. „Das ist gerade das Politische“, sagt Welp: „Rechte Kultur wird netter und etablierter, und dann steht sie in der Mitte der Gesellschaft, ohne daß wir es mitbekommen.“

Manchmal verlieren die Streetworker auch den Blick für ihre eigene Position. Wer Tag für Tag mit den Sorgen der Rechten zu tun hat, verharmlost vielleicht das Tun seiner Klientel. „Das ist Beziehungsarbeit, die wir machen – und der Dynamik, die dabei entsteht, muß man sich stellen“, findet Jugendarbeiter Welp. Manchmal verändern sich die Toleranzgrenzen gegenüber dumpfen Weltbildern so schleichend, daß der einzelne es gar nicht merkt. Abzulesen ist die Gratwanderung auch an dem Bild, das die Kids von den Streetworkern haben: „Für die sind wir natürlich linke Zecken – aber trotzdem irgendwie OK“, weiß Welp.

Christoph Dowe