Der Ruf ist gründlich ramponiert

Der legendäre Fußballclub Union versinkt im Chaos: Der Vereinsname steht für Filz, der Trainer tritt zurück, Spieler warten auf Lohn, Sponsoren sind abgeschreckt  ■ Von Jürgen Schulz

Rolf Dohmen ist dem Verzweifeln nahe. „Union kommt einfach nicht aus den negativen Schlagzeilen heraus“, schimpft der Marketing-Manager des US-Konzerns Nike. Aus der Deutschland-Zentrale des weltweit größten Sportartikelherstellers im hessischen Mörfelden lenkt Dohmen als Aufsichtsratsvorsitzender die Geschicke des Berliner Fußball-Regionalligisten.

Besser gesagt: er versucht es. Denn in den letzten Tagen droht bei dem hinter Hertha BSC populärsten Verein der Hauptstadt alles wegzubrechen. Trainer Karsten Heine erklärte seinen Rücktritt, weil er sportlich keine Perspektiven mehr sah für den ehemaligen DDR-Pokalsieger von 1968. Statt wie ursprünglich geplant in die 2. Bundesliga aufzusteigen, versinkt Union im Chaos. Die Vereinskasse in Köpenick ist leer, der Gerichtsvollzieher zählt zu den Stammgästen im Stadion „Alte Försterei“, während die Spieler seit Monaten auf ihre Gehälter warten.

Heines Job übernahm sein bisheriger Assistent Frank Vogel. „Ein Himmelfahrtskommando“, weiß der Neue. Längst werden die besten Akteure von anderen Vereinen umworben. Union scheint am Ende. Dabei sah es im Frühjahr rosiger aus denn je. Der Club schloß zum 1. April 1997 ein Kooperationsabkommen mit Nike ab, an dessen Laufzeitende im Jahr 2002 der Verein endlich im bezahlten Fußball spielen sollte. Doch der US-Gigant hatte die Lage bei den Köpenicker Kickers offensichtlich gründlich unterschätzt.

Der erhoffte Nachahmereffekt blieb aus. Andere Geldgeber scheu(t)en ein Engagement in der „Alten Försterei“, so daß Nike alleine den Karren aus dem Dreck hätte ziehen müssen. „Auf der Suche nach Sponsoren schlägt mir mancherorts der blanke Haß entgegen“, berichtet Aufsichtsrat Fritz Niedergesäß, der für die CDU im Abgeordnetenhaus sitzt. Vorsichtshalber hat nunmehr auch Nike alle Zahlungen eingestellt und beschränkt sich auf die bloße Tätigkeit als Ausrüster.

Keine Frage, Union hat seinen guten Ruf gründlich ramponiert. Schuld daran sind Funktionäre, die seit Jahren ihr undurchschaubares Spiel mit dem Verein trieben. Trauriger Höhepunkt war im November 1995 ein immenser Schuldenberg von über 14 Millionen Mark, der den Unionern beinahe den Garaus gemacht hätte. „Wir waren mausetot“, gestand der heute nur noch auf dem Papier agierende Präsident Horst Kahstein, der mittlerweile privaten Geschäften in Litauen nachgeht.

Um zu retten, was zu retten war, fädelte Kahstein in der Spielzeit 1995/96 einen Deal ein, der nunmehr sogar die Staatsanwalt beschäftigt. Der Senat und der Bezirk Köpenick übernahmen eine Bürgschaft über zwölf Millionen Mark für Kredite des von Kahstein angeheuerten Union-Sponsors und Bauunternehmers Manfred Albrecht, der in der Wuhlheide für 150 Millionen Mark einen Sportpark errichten sollte. Albrecht, mittlerweile am Rande des Konkurses, verwendete jedoch die Staatsknete, um Union zu entschulden.

Stolz konnte Kahstein wenig später den euphorischen Vereinsmitgliedern berichten, daß der Schuldenpegel Unions auf schätzungsweise drei Millionen Mark gefallen war. Dieses Wunder von Köpenick rief freilich den Bund der Steuerzahler auf den Plan, der – angesichts immer knapper werdender Staatseinnahmen – eine unverantwortliche Verschwendung von Steuergeldern witterte und im Juni 1997 Strafanzeige wegen Veruntreuung stellte. Nun ermittelt die Justiz unter anderem gegen Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing sowie Köpenicks Bürgermeister Klaus Ulbricht, der übrigens im Union-Aufsichtsrat sitzt. Den angerichteten Schaden muß freilich der Steuerzahler übernehmen – ob er nun Union-Fan ist oder nicht.

Bei den Köpenicker Fußballern geht die Suche nach einem neuen Retter munter weiter. Hartnäckig halten sich Gerüchte, ein geheimnisvoller Mister X wolle als Präsident einsteigen, um die Streichung aus dem Vereinsregister zu verhindern. Bislang kennt ihn wohl nur Nike-Manager Dohmen. „Ja, ich verhandele mit einer namhaften Persönlichkeit. Aber wenn dieser Kandidat auch noch absagt, dann bin ich mit meinem Latein am Ende.“ Und damit wohl auch der 1. FC Union.