■ Kommentar
: Beißzwang

Am Anfang stand der feste Wille. Nämlich der Finanzsenatorin Fugmann-Heesing einen Strick zu drehen aus dem dubiosen Verkauf eines Stadtgutes an den Pferdezüchter Schockemöhle. Alle Zutaten dafür waren vorhanden: ein Verkauf zum Schnäppchenpreis am parlamentarischen Vermögensausschuß vorbei und mit märchenhaften Profitsteigerungsraten für den Käufer, falls das Gelände bei Stolpe einmal Bauland werden sollte. Dazu eine Finanzsenatorin, die entweder von nichts wußte – und deswegen zurücktreten sollte, wie aus der CDU gefordert wurde. Oder eben doch längst davon wußte – und deswegen zurücktreten sollte, weil sie gelogen hatte. Daß haarscharf an den Fakten vorbei interpretiert wurde, störte die Kampagnenritter aus der CDU nicht.

Dann aber folgte Akt zwei. Zuerst dräute der CDU-Front, daß auch die Bauverwaltung und das Wirtschaftsressort den Vertrag mitgezeichnet hatten. Beide aber haben mit Klemann und Pieroth wackere CDUler an der Spitze. Also wurde zum Rückzug geblasen. Hinzu kommt, daß für die Veräußerung von Liegenschaften im Finanzressort Staatssekretär Peter Kurth verantwortlich ist. Der gehört ebenfalls der CDU an und ist vom Regierenden Bürgermeister Diepgen als Wachhund zur Sozialdemokratin Fugmann-Heesing abkommandiert. Die witterte im Gegenzug die Gelegenheit, den ungeliebten Aufpasser loszuwerden, und forderte dessen Rücktritt.

Akt drei: Zweifelsfrei ausgeleuchtet ist der Verkauf um das Stadtgut immer noch nicht, um so mehr der erbärmliche Zustand der Senatskoalition. Die Akteure sind meilenweit von jeder vertrauensvollen Zusammenarbeit entfernt, ist die eigentliche Botschaft des Streits. Der nur oberflächlich domestizierte Beißimpuls treibt beide Seiten vielmehr, auf den ungeliebten Partner loszugehen, sobald sich irgendeine Chance bietet – auch wenn es das eigene Bein trifft. Fraktionelle Frühwarnsysteme haben gegen die aufgestaute Wut auf den Zwangskoalitionär und der Lust an der Selbstzerfleischung keine Chance. Hier wird nicht abgewogen, sondern alles oder nichts gespielt. In einem solchen Klima ist vieles möglich. So etwas kann eine fatale Dynamik entfalten, die auch die Parteiführungen nicht mehr in den Griff bekommen. Am Ende steht die Große Koalition vor einem Scherbenhaufen, bevor die Akteure gewahr werden, wie ihnen geschieht. Gerd Nowakowski