■ Roy Lichtenstein ist tot. Er machte den Comic salonfähig. Er gab dem Trivialen radikalen Chic. Das gefiel. Mit seinen Riesenleinwänden erzielte er Phantasiepreise.
: Spielzeug für Reiche

Roy Lichtenstein ist tot. Er machte den Comic salonfähig. Er gab dem Trivialen radikalen Chic. Das gefiel. Mit seinen Riesenleinwänden erzielte er Phantasiepreise.

Spielzeug für Reiche

Auf Roy Lichtensteins Bild „Mad Scientist“ von 1963 hantiert ein Wissenschaftler mit irrem Blick an einer Apparatur herum, die Kunstobjekte verdoppeln kann. Vorher aber stiehlt er die Originale aus dem jeweiligen Museum. Nur wenige Bilder der Pop-art haben sich auf so feinsinnige Weise mit ihren eigenen Produktionsbedingungen beschäftigt: Lichtensteins Motiv war selbst nach der Vorlage eines Comics gemalt. Doch im Unterschied zum massenhaft verbreiteten Heftchen wurde das 127 x 151 cm große Bild zum originären Zeugnis der sechziger Jahre.

Die Arbeiten von Lichtenstein haben immer ein bißchen augenzwinkernd solche unumstößlich in sich selbst verankerten Wahrheiten transportiert – ein Bild ist ein Bild ist ein Bild. Oder auch dies: „M-maybe he became ill and couldn't leave the studio“ steht auf seinem „Girls Picture“ (1965) als Gedankenblase einer besorgten Blondine eingeschrieben. Jetzt ist die Anspielung auf den abwesenden Pop-art-Künstler Wirklichkeit geworden: Am Montag mittag starb Roy Lichtenstein im Alter von 73 Jahren in einem New Yorker Krankenhaus an den Folgen einer Lungenentzündung. Bis zuletzt hatte er in seinem Atelier gearbeitet, an seltsam verfremdeten chinesischen Landschaften, sagt man.

Anders als Kollegen wie Andy Warhol oder Jasper Johns hatte der 1923 geborene New Yorker seine Bilder stets ideologisch, als „Ironisierung des Kapitalismus“ betrachtet. Das Understatement paßte zu seinem Auftreten, das die verschmitzte Noblesse eines englischen Gentleman und die unruhige Melancholie der französischen Nouvelle vague mit einem Schuß Glamour nach Art des Beat-Dichters William S. Burroughs verband. Lichtensteins Pop war eine Ablehnung des übermächtigen Abstrakten Expressionismus der fünfziger Jahre, die sich in Bombern ebenso wie in Kußmündern auf der Leinwand entladen konnte, und zugleich eine Verbeugung vor der europäischen Moderne. Seine willkürlich aus Zeitungen zusammengeklaubten Motive waren wie ein dadaistischer Trick, sie überhöhten den Realitätsanspruch der Massenmedien und verabschiedeten sich im selben Moment von deren Gültigkeit.

Von 1940 bis 1942 hatte Lichtenstein das Zeichnen bei einem Professor gelernt, der ihn als Konzentrationstraining im Dunklen arbeiten ließ, um die Kommunikation zwischen Auge und Hand zu schulen. Entsprechend groß war seine Abneigung gegen den akademischen Kunstbetrieb. Zornig formulierte er sein Bekenntnis zum Pop: „Ich bin gegen die Nuance, gegen das ewige Wegkommenwollen von der Tyrannei des Rechtecks, anti Bewegung und Licht, gegen das Mysterium, anti Farbqualitäten, anti Zen und gegen all die brillanten Ideen früherer Kunstrichtungen, die jede immer so vollständig zu verstehen vorgibt.“ Statt dessen übertrug Lichtenstein Kitsch und Comic als Blow-ups auf mannshohe Leinwände, die Leo Castelli seit 1962 in seiner Galerie als „nutzloses Spielzeug für Reiche“ (Lichtenstein) verkaufte. Während Warhol den Warencharakter der Kunst in seinen Motiven erfaßte, ging es Lichtenstein um die Profanisierung statt Verklärung der Lebenswelt, wie sie etwa die erhabene Malerei eines Barnett Newman für ihn verkörperte. Gegen dessen Rede von der Angst vor „Rot, Gelb, Blau“ setzte er seine Ikonen von zähnefletschenden Hunden oder schluchzenden Mädchen – ebenfalls in den Grundfarben, aber banal und affektgeladen.

Andererseits war der Künstler Bohemien genug, um seinen Erfolg zu genießen. Immerhin hatte er mit den überaus populären Motiven ähnlich wie Andy Warhol die Schwelle zwischen High und Low aufgehoben – das Triviale wurde unter seiner Hand zum radikalen Chic, das Ersatzobjekt zum authentischen Werk. Die Perfektion dieser Verwandlung spiegelt sich auf dem Markt wider: Roy Lichtensteins Gemälde hängen nicht bloß in jedem Museum der Welt, sie dominieren auch im Postershop und am Postkartenständer die restliche Kunst des 20. Jahrhunderts. Harald Fricke