Analyse
: Königreich Hamburg

■ Henning Voscherau ist tot! Es lebe der alte sizialdemokratische Klüngel!

Verluste? Welche Verluste? Die Hamburger SPD verliert zwar Wähler und Senatoren, aber nicht den Glauben an sich selbst. Keiner rief „Haltet den Fritz!“ oder „Ich bin traurig!“ oder auch nur: „Wir wußten doch nichts von deiner Schmerzgrenze.“ Nein, als Hamburgs Umweltsenator Fritz Vahrenholt am Montag abend bekanntgab, daß er die Brocken hinschmeißt und nach 13 Jahren in der Politik wieder als Chemiker arbeiten will, da wollten keinem Sozialdemokraten die Tränen kommen. Nicht nur, weil selbst seine eigenen Leute aus dem rechten SPD-Lager ihn für einen an Selbstüberschätzung leidenden Ehrgeizling halten und lieber einen Linken, nämlich Ortwin Runde, zum Bürgermeisterkandidaten kürten. Sondern auch, weil man – Wahlniederlage hin oder her – längst wieder mit der Aufteilung des hanseatischen Königreichs beschäftigt ist. König Henning Voscherau ist politisch tot, es lebe die Sozialdemonarchie!

Königreich Hamburg Henning Voscherau ist tot! Es lebe der alte sozialdemokratische Klüngel!

In der bevorstehenden Koalition mit der Grün-Alternativen Liste (wahrscheinlich) oder der CDU (unwahrscheinlich) wird es ohnhin eng beim Gerangel um die Senatorenposten. Mit Vahrenholts Rückzug aus Angst, ohnehin nicht mehr Umweltsenator zu werden, ist man einen Versorgungsfall los. Die Kräfte können nun gebündelt werden auf die Lösung des drängendsten Problems: Welche Hamburger Fürstentümer müssen wie und in welcher Geschlechter- und Flügelkombination berücksichtigt werden? Zwar prophezeiht die Handelskammer den wirtschaftlichen Untergang des Standort Hamburgs, wenn es zu Rot-Grün kommt. Doch wer wollte andererseits bestreiten, daß die Grünen auch deshalb koalitionsfähig sind, weil sie weniger Posten im Senat beanspruchen können als die doppelt so starke CDU?

Angesichts des Regelungsbedarfs in der SPD muß die Frage, warum die Partei in sechs Jahren zwölf Prozent und viele Stammwähler verloren hat, verständlicherweise zurückgestellt werden. Unbelehrbar halten die Wortführer der SPD an dem Irrglauben fest, daß der auf Innere Sicherheit reduzierte Wahlkampf richtig war – nur der Wähler hätte es nicht begriffen. Solcherart kreative Leistungsbilanzen sind an sich nichts Ungewöhnliches in einer sozialdemokratischen Hochburg. Schließlich möchte man die eigene Position in den morgen beginnenden Koalitionsverhandlungen nicht durch Selbstkritik schwächen. Die Schmerzgrenze der Bevölkerung muß nun möglichst weiträumig umgangen werden.

Langfristig gilt es außerdem, die Niederlage als eine Frage der Einstellung und Verhältnismäßigkeit zu betrachten. Schließlich wäre das alles nicht passiert, wenn wir das Mehrheitswahlrecht wie in Großbritannien hätten. Der scheidende Voscherau wünscht sich das schon lange. Die Begründung lieferte ein Genosse noch am Wahlabend: „Wenn das Volk uns nicht liebt, dann muß man ihm die Chance geben, uns auf niedrigerem Niveau zu lieben.“ Silke Mertins