Innenansichten eines Küchenunfalls

■ Obwohl Volcano – Heißer als die Hölle von Mick Jackson ein prototypischer Katastrophenfilm ist, betreibt er ein unaufdringliches Spiel mit den allzu geläufigen Klischees des Genres

Ein Vulkanausbruch ist ja wohl eine veritable Katastrophe. Schauen wir also mal ins Lexikon (rororo). Dort erfahren wir unter „Katastrophenfilm“(hier: Volcano), daß dieser an einem „genau bezeichneten“oder „historischen“Ort zu spielen habe (L. A.) und von dem „Nervenkitzel“lebe. Die Katastrophe (Vulkanausbruch) könnte „echt“oder mindestens „wahrscheinlich“sein.

Seine Spannung verdanke er nun „mehreren, stark divergierenden Charakteren“(Tommy Lee Jones, Anne Heche, John Carroll Lynch), die „nur teilweise überleben“(Tommy Lee Jones, Anne Heche). „Hauptaufgabe der Realisatoren“(Mick Jackson) sei aber schließlich die „ausgiebige Verwendung filmischer Tricktechnik“und deren „spektakuläre“Nutzung. Puh. Soweit eine kurze Typologie des ziemlich originalen 70er-Jahre-Phänomens Katastrophenfilm.

Unter dieser Maßgabe ist Volcano ein Kata-strophenfilm reinsten Zelluloids. Die Check-liste geht ohne Rest auf. Das bedeutet aber keinesfalls, daß man sich auf dieser wohlfeilen Erkenntnis ausruhen sollte. Es lohnt sich schon, hinzusehen. Die Handlung zu schildern dauert entweder sehr lange oder sehr kurz. Hier die kurze Variante: In Los Angeles (genau: mittendrin) bricht ein Vulkan aus. Verwunderung und Verwirrung. Einige Menschen kämpfen darum, Leben zu retten und die Gefahr einzudämmen. Ende. Gerade weil das so vorhersehbar ist, kann man sich auf Details konzentrieren und auf die metaphorische Dimension.

Wenn zum Beispiel zu Beginn Innenansichten brodelnder Lavaadern mit einem harmlosen Küchenunfall des alleinerziehenden Vaters Tommy Lee Jones kombiniert werden, ist das einerseits humorvoll, andererseits verweist es darauf, daß Vulkane ebenso unter der Stadt wie unter ihren Bewohnern lauern. Vater und Tochter, Mann und Frau, schwarz und weiß – man verträgt sich nicht recht. Wenn dann aber zahlreiche angenehm zurückhaltende, gleichwohl spektakuläre Binnenabenteuer bestanden sind, haben alle etwas gelernt.

So packen, wenn es hart auf hart kommt, zwei Streithähne – ein schwarzer Kleinkrimineller und ein vorurteilsbeladener weißer Polizist – zusammen an und helfen, einen Lavadeich und gegen-seitigen Respekt zu errichten. Wer dächte da nicht an die Oderfluten, wo Ost und West gemeinsam und vertrauensstiftend Sandsäcke stapelten? Auch die Religion kommt nicht zu kurz. Ein die Katastrophenprophylaxe hemmender Bürokrat wandelt sich im Verlauf von Volcano zum hilfreichen Märtyrer, um seinen passionsartigen Gang in den Tod mit einem ordentlichen Gebet zu begleiten.

Warum das nicht so fürchterlich ist, wie es klingt? Weil der Film es selbst reflektiert und sein Spiel mit den allzu bekannten Klischees treibt, ohne ständig nachdrücklich mit den Augen zu zwinkern. Außerdem spielt Tommy Lee Jones den furchtlosen Helden.

Sven Sonne

Cinemaxx, City, Gloria, Hansa, Oase, Spectrum, Ufa