Angst vor dem übermächtigen Nachbarn

■ Das B-Movie zeigt diesen Monat vier Filme des dänischen Festivallieblings Lars von Trier, die meist mit viel Wille zum Stil in ein angstbeladenes Deutschland führen

Wann immer Lars von Trier die Kamera in die Hand genommen hat, war die Wahrscheinlichkeit groß, daß er dafür einen Preis davongetragen hat. Die Linie der Auszeichnungen zieht sich von diversen Preisen bei Filmhochschulfestivals für seine frühen Kurzfilme über den Großen Preis der Technik 1984 für sein Debüt The Element of Crime und den gleichen Preis plus Spezialpreis der Jury 1991 für Europa bis zum Großen Preis der Jury 1996 für Breaking the Waves beim Festival in Cannes. Ein Streber also, ein Festivalabzocker par excellence. Könnte man meinen, wären da nicht seine Filme.

Wollte man diese mit einem Wort charakterisieren, so fiele einem sicherlich „Stilwille“ein. Um aber der unverkennbaren Entwicklung in Lars von Triers Werk gerecht zu werden, bedarf es schon eines näheren Blickes. Eine stilistische wie motivische Einheit bilden die Filme seiner Europa- oder Deutschland-Trilogie (The Element of Crime, Epidemic, Europa). Mal abgesehen vom gemeinsamen Anfangsbuchstaben, führen alle diese Filme nach Deutschland. Außerdem verbindet sie ein Motiv, nämlich die Hypnose.

In The Element of Crime (2., 4. und 5. Oktober) wird in Kairo ein Polizist hypnotisiert, um auf einer Reise in Europa und der eigenen Vergangenheit einen mysteriösen Mordfall aufzuklären. In Epidemic (9.,11. und 12. Oktober) ist es eine junge Frau, die in Trance versetzt wird. Sie soll das unfertige Script eines Horrorfilms vollenden. Hier wird Film an sich als hypnotischer Vorgang interpretiert, wobei die ästhetische Grenze zum Zuschauer noch unangetastet bleibt. Europa (16., 18. und 19. Oktober) schließlich gibt sich selbst als Akt der Hypnose zu verstehen. Ein Erzähler zählt bis zehn und suggeriert dem Zuschauer, sich am Ende der Zahlenreihe in Europa zu befinden.

In diesem Punkt konzentriert sich auch das Selbstverständnis Lars von Triers. Er versteht sich als Kinomagier, der sich der manipulativen Wirkung des Kinos voll bewußt ist – und ebenso willens, sie voll auszuspielen. Zudem sind seine Filme höchst persönliche Visionen seines Kardinalthemas: ein mit Angst und Faszination besetztes Deutschland, was von Trier selbst als die historisch gewachsene Angst des kleinen Dänemark vor dem übermächtigen Nachbarn interpretiert.

So pendeln die Filme seiner Trilogie zwischen ästhetisch strengem, selbstreflexivem „Kunstkino“und direkt aufs Unterbewußtsein zielender Manipulation. Es kommt ganz auf die Perspektive an. So schieden sich an Breaking the Waves – einem rauhen naturalistischen Drama, dem das Artifizielle der früheren Filme fast vollständig abgeht – die Geister. Einerseits gerühmt als sensibles, emotionales Meisterwerk, andererseits gescholten als reaktionäres, religiös verkitschtes Opfermelodram, hamsterte Breaking the Waves Preise.

Diesem Film ging 1995 das Manifest Dogma 95 voran, in dem sich von Trier für den „naturalistischen“Film einsetzt. Den darin vertretenen Forderungen, die er aus der Arbeit an The Kingdom ent-wickelte, wird Breaking the Waves weitgehend gerecht. Nur mit einer tat sich Lars von Trier selbst schwer: „Filme sollten nicht signiert werden.“

Sven Sonne