Richter schelten zurück

Hamburgs oberstem Richter platzt bei Mahnmal-Einweihung der Kragen: Die Debatte um Innere Sicherheit erinnert ihn an 1933  ■ Von Elke Spanner

Hamburg 1933, Hamburg heute. Eigentlich wollte Wilhelm Rapp, Präsident des Hamburgischen Oberlandesgerichts, eine historische Rede halten. Er wollte zur Einweihung des Mahnmals „Hier und Jetzt“Gerichtsurteile aus der Nazizeit zitieren, wollte mit der Erinnerung an das damalige Terrorregime verdeutlichen, welches Unrecht durch staatliche Organe begangen werden kann. „Doch dieses Rückgriffs auf die Vergangenheit bedarf es nicht“, rief Hamburgs oberster Richter laut über den Sievekingplatz, wo zwischen den Gerichten gestern das Mahnmal zum Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Justiz präsentiert wurde. „Auch die Gegenwart bietet dafür genug Stoff.“Und er ging hart mit Hamburgs Politik ins Gericht.

Hamburg 1933, Hamburg heute. Die dem Oberlandesgericht zugewandte Seite des Mahnmals ist dunkelgrau. In ihrer Mitte prangt dick die Jahreszahl 1933. Die Rückwand zeigt ein Panoramafoto des heutigen Hamburg. Dieser grell leuchtenden Seite nahm Rapp in seiner Rede allen Glanz: Nur knapp um 200 Stimmen hätten die „neuen Nazis“den Einzug ins Parlament verfehlt. „Bedenklich“sei aber auch der Wahlkampf der anderen Parteien gewesen. „Wer harte Strafen auch für Bagatelldelikte will, wer ein polizeiliches Vorgehen wie in New York fordert und sich Sauberkeit wie in einer Stadt wie Singapur wünscht, der muß eines wissen: Das bedeutet eine massive Einschränkung der Freiheitsrechte.“Er mahnte die Rückbesinnung auf das Jahr 1949 an: „Als das Grundgesetz geschaffen wurde, legte man Wert auf ein freiheitlich-demokratisches Gemeinwesen.“

Nur knapp 50 Jahre später sieht Hamburgs oberster Richter genau das in Gefahr. „Die Alarmglocken läuten“bei ihm vor allem beim Thema Ausländerkriminalität. „Eines muß klargestellt werden“, empört sich Rapp: „Die meisten Straftaten werden von Deutschen begangen.“Dennoch wären Stammtischparolen über Ausländerkriminalität in das Gedankengut breiter Bevölkerungsschichten eingegangen. Rapps Plädoyer gegen Rassismus gipfelte in der Feststellung: „Der Ausländerhaß heute und der Judenhaß damals sind so weit nicht voneinander entfernt.“

Hamburg 1933, Hamburg heute. Auch Justizsenator Wolfgang Hoffmann-Riem fand nicht nur Lobesworte über die Entwicklung der Stadt seit dem Nationalsozialismus. „Bei dem Mahnmal geht es auch um den Ungeist einer Profession, die es zuließ, daß 1945 keine klare Zäsur gemacht wurde.“

Ein Vertreter der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/ Bund der Antifaschisten“ergänzte das Mahnmal um ein Plakat. Darauf forderte er die Aufhebung der Nazi-Unrechtsurteile und die Rehabilitierung der Opfer. „Wenn man die Nazijustiz hier heute verurteilt, ist das eine logische Konsequenz.“