Und die Totenköpfe grüßen swingend

■ Deutschland vergrübelt, Publikum geschockt: Auch das Oldenburger Theater eröffnet mit Heiner Müller

Es ist ein Gemetzel: Heiner Müller schont bekanntlich das Publikum nicht, und von der blutigen Inszenierung seines „Anatomie Titus Fall of Rome“zeigte sich das Publikum im Oldenburger Staatstheater sichtlich schockiert. Damit scheint Intendant Stephan Mettin sein Klassenziel erreicht zu haben, die verkarstete Provinztheaterlandschaft mit provokanten Inszenierungen aufzubrechen. Erreicht und verfehlt.

Denn obgleich man die Regiearbeit von Kai Festersen als gelungen bezeichnen kann, so krankt sie doch an allen Ecken und Enden, vornehmlich an der Besetzung: Überforderung tut sich auf.

Ulf Perthel als römischer Feldherr Titus Andronicus versinkt brummelig sinnierend im Text, Schmerzensschreie gelingen wie auf Knopfdruck und verhallen in gebremster Verhaltenheit. Das schleppt sich, wie der gebrochene Feldherr unter einem Wehrmachtsmantel. Gut ist er, wenn er den Witz der Vorlage zum Blinken bringt: seltene Momente, die Müller gerecht werden.

Bremsend auch und akustisch ebenso unverständlich: Christine Jensen, als sinnliche, ränkeschmiedende Gotenkönigin Tamora eine glatte Fehlbesetzung. Denn sie füllt diese Figur, die Farben des Irrsinns in sich trägt, nur in Ansätzen aus. Sie posiert zu oft, statt zu spielen, deklamiert, statt zu sprechen. Nicola Lembach hätte diese Rolle in ihren Untiefen sicher mit mehr Intensität auszuloten gewußt: Das beweist sie hier in „Titus“erneut in kleineren Nebenrollen. Schauspielerische Lichtblicke des Abends – neben einem affig verschmitzten Murat Yeginer, der dem Schwarzen Aaron diabolische Quirligkeit verleiht.

Im übrigen aber verkommt dieses gewagte Schauspiel oftmals zur Sonntagsschule für Philologenkinder, in der die Darsteller – nach brechtschem Lehrpathos geschult – offenbar auf ein Kommando warten, bis eine demonstrative Handlung erfolgt, die unser „Aha“erheischen soll. Erst im zweiten Teil des dreieinhalbstündigen Abends kommt das Stück zu sich selbst. Die Bühne ist eine Baustelle, ein Berliner Hinterhof, mit Schuttrutsche und Erfrischungsautomat. Das Thema der Müllerschen Shakespeare-Adaption – der Einfall der dritten Welt (Die Goten, Aaron) in die priviligierte Zivilisation Roms (des Westens), die Pervertierung des herrschenden Rechts der Mächtigen an sich selbst, wird hier klar auf das Deutschland der Nachwendezeit bezogen.

Titus Söhne kommen als Skinheads daher, die sich mit den langhaarigen Söhnen Tamoras – des Autonomen – kloppen. Titus Ruf nach Gerechtigkeit, der Rache meint – nämlich die Selbstgerechtigkeit einer Siegerjustiz – verschlingt letztlich die eigenen Kinder. Die auf Expansion angelegten patriarchalen Gesellschaften (oder sagen wir heute klug: des universalen Kapitalismus) demontieren sich in jedem Versuch der Selbstrettung. Aus dem Off der Bühne grüßen die Totenköpfe dieser Kultur zu flottem Swing: das Einfallstor ihres Zerfalls bleibt Auschwitz. Jede Handlung und jedes Stück Theater trägt die Verdrängung in sich – verdammt zur Lüge und somit zum Wiederholungszwang. Bleibt im Theater – in der Tat der bloße Wille zur Macht. Und damit ist dieser Müller sicherlich aktuell in einem Land, das nach 15 Jahren Regierung Kohl unter einem Vereinigungsprinzip stagniert und immer noch den Gegner in der eigenen Geschichte – und so sich selbst – bekämpft. mig