Seeleute streiken gegen Hungerlohn

■ Russischer Frachter Kemerovo in Bremer Kap-Horn-Hafen besetzt / Ersatzcrew wird erwartet / Internationale Transportgewerkschaft befürchtet Krawall

„Wir streiken und wollen unser Geld“, fordern Transparente an der Reling des mit Termingut beladenen russischen Frachters Kemerovo. 20 Seeleute der 25 Mann starken Crew befinden sich seit zwei Tagen im Ausstand und verhindern das Auslaufen aus dem Bremer Kap-Horn-Hafen. Eine Ersatzcrew wird in Moskau von der Reederei zusammengestellt. Die Internationale Transportgewerkschaft (ITF) befürchtet, daß es beim Versuch der neuen Crew, die Kemerovo zu betreten, zu Krawallen kommen könnte.

Als Ziel des Streikes gibt die Mannschaft eine drastische Erhöhung der Heuer an. Zur Zeit erhalten die Seemänner ca. 500 Mark monatlich. Die Vereinten Nationen haben die Mindestheuer weltweit auf ca. 800 Mark festgelegt. „Wir fordern von der russischen Reederei schon lange, mit ihren Crews Normverträge der ITF abzuschließen“, sagt Harald Schmelling. Er ist von der Internationalen Transportarbeiter Gewerkschaft (ITF) und betreut die Streikenden. Nach den Minimalforderung der ITF würde den Seeleuten eine Grundkranken- und Unfallversicherung sowie eine Mindestheuer von 1.600 Mark montalich garantiert. „Mit dieser Aktion protestieren wir gegen den Versuch der Reeder, internationale Abkommen zu umgehen, indem sie ihre Schiffe unter der Flagge solcher Länder fahren lassen, die den Abkommen nicht zugestimmt haben“, erklärt Schmelling. Bei Ankunft in Bremen stand die Kemerovo unter Malteser Flagge.

Die russische Reederei des Schiffes hat ihren Sitz auf Sachalin, einer Insel zwischen Rußland und Japan. Die meisten Männer der Streikcrew stammen von Sachalin. „Vor fünf Jahren verfügte die Reederei noch über 97 Schiffe unter russischer Flagge, heute sind es nur noch sechs“, erklärt Seemann Alexandr.

Am Sonntag hatten Vertreter der Reederei versucht, die Kemerovo kurzfristig wieder als russisches Schiff umzuflaggen. Dann wäre unter Umständen eine russische Gewerkschaft für die Vertretung der Crew zuständig. Zur Zeit streiten sich zwei russische Gewerkschaften um das Vertretungsrecht. Die eine Gewerkschaft behauptet, sie hätte die Arbeitsverträge zwischen Reederei und Kemerorocrew abgesegnet. Diese Gewerkschaft hat die Mannschaft aufgefordert, den Streik in Bremen abzubrechen. „Die ITF hat diese Gewerkschaft rausgeworfen. Das sind Gauner“, meint Schmelling. Die andere Gewerkschaft hat sich mit der Crew solidarisch erklärt. „Die zweite Gewerkschaft ist auch Mitglied in der ITF, in dem auch die deutsche ÖTV vertreten ist“, sagt der Gewerkschafter.

Bremer Kontaktbüro der Reederei ist das Maklerbüro Gebrüder Specht. Gegenüber der taz verweigerte Abteilungsleiter Erich Cohrssen jegliche Aussage. Cohrssen hat versucht, den ITF-Vertreter von Bord zu verweisen. Außerdem hat er gestern einem Offizier, der sich mit der Mannschaft solidarisiert hat, ein Ultimatum gestellt: entweder Arbeitsaufnahme auch mit einer neuen Crew oder fristlose Kündigung. Auch ohne Streik wäre die Kemerovo bereits überfällig. In Hamburg wurde ihr letzte Woche von der Berufgenossenschaft der Auslauf verweigert. „Wegen technischer Fehler an einigen Ladevorrichtungen war das Schiff nicht seetauglich“, sagt Harald Schmelling. Die Kemevoro hat Container und technisches Gerät an Bord, das terminlich gebunden nach Brasilien geliefert werden muß.

Thomas Schumacher