Arbeitssuche ohne Visionen

Die neuen Grundlinien von EU-Kommissionspräsident Santer für eine gemeinsame Beschäftigungspolitik orientieren sich streng am Machbaren  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Die Europäische Union soll sich mehr auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit konzentrieren. EU- Kommissionspräsident Jacques Santer legte gestern vor dem Europäischen Parlament die Grundlinien vor, wie er sich eine gemeinsame Beschäftigungspolitik vorstellt. Am 20. November sollen die 15 Staats- und Regierungschefs der EU auf einem Sondergipfel in Luxemburg darüber entscheiden.

Santers Vorschläge kommen ohne große Visionen aus, sie orientieren sich vielmehr an dem, was er in der EU für durchsetzbar hält: Eine Verbesserung der Ausbildung, eine stärkere Förderung der kleinen und mittleren Betriebe, Senkung der Lohnnebenkosten und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Zusätzliche Finanzmittel wird es nicht geben, vielmehr sollen die vorhandenen Strukturfonds der EU stärker als bisher auf die Schaffung von Arbeitsplätzen ausgerichtet werden.

Diese Zurückhaltung Santers spiegelt die überaus widersprüchlichen Vorstellungen einer EU-Beschäftigungspolitik bei den Regierungen der Mitgliedsländern wider. Frankreich und einige kleinere Länder wie Luxemburg und Österreich wollen die europäische Währungsunion durch aktive Beschäftigungsprogramme ergänzen. Großbritannien dagegen verweist auf eigene Erfolge und fordert einen rigorosen Abbau beschäftigungshemmender Vorschriften. Dies liefe im wesentlichen auf einen Abbau der Arbeitnehmerrechte hinaus. Und die Bundesregierung hält das Ganze für überflüssig, weil Arbeitsmarktpolitik Angelegenheit der Mitgliedsstaaten sei. Bundesfinanzminister Theo Waigel hat bereits deutlich gemacht, daß er nur Beschlüssen zustimmen wird, die nichts kosten.

Einige Regierungen halten es deshalb schon für einen Durchbruch, daß der Beschäftigungsgipfel überhaupt stattfindet. Sie hoffen auf eine Eigendynamik der Veranstaltung, an deren Ende vielleicht doch greifbare Ergebnisse stehen könnten. Vor allem die Luxemburger Regierung, die derzeit für eine halbes Jahr turnusgemäß die Ratspräsidentschaft führt und damit den Fahrplan vorgibt, drängt auf ein Gegengewicht zur aktuellen Politik der Liberalisierung. Ähnlich wie die Schuldenkriterien beim Euro, sollen sich die Regierungen Beschäftigungsziele setzen. Santer, selbst Luxemburger, schlägt vor, daß sich die Regierungen verpflichten sollen, die Arbeitslosigkeit in den nächsten fünf Jahren von derzeit mehr als 10 auf 7 Prozent zu senken.

Einmal beschlossen, müßten sich die Regierungen an dieser Marke messen lassen und ihre Politik danach ausrichten. Für eine einheitliche EU-Beschäftigungspolitik, die von der EU-Kommission als Quasi-Regierung von Brüssel aus gesteuert wird, sieht auch Santer keine Chance. Seine Vorschläge zielen deshalb in erster Linie auf eine bessere Abstimmung der nationalen Politikansätze. Ein zentraler Punkt dabei ist ein Umbau der Steuersysteme, um die Lohnnebenkosten zu senken. Allein seit 1980, so Santer, seien die Steuern auf Arbeit von 35 auf mehr als 42 Prozent angestiegen. Im Europäischen Parlament sind Santers Vorschläge gestern mit kritischem Interesse aufgenommen worden. Vor allem die Grünen und die Sozialdemokraten hätten gerne mutigere Vorschläge gehört. In der EU sind derzeit 18 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet.