„Diffamierung von Arbeitslosen“

Gewerkschaften empört über den Ruf der Wirtschaftsverbände nach einer großen Koalition. Harsche Kritik an Wrocklage  ■ Von Silke Mertins

DGB-Chef Erhard Pumm ist sauer. Das Plädoyer von Handelskammer, Handwerkskammer und Unternehmensverbänden für eine große Koalition hält er für einen unsittlichen Antrag an die Politik. „Ich kann mir nicht vorstellen“, giftet Pumm, daß „Körperschaften des öffentlichen Rechts diese Aufgabe haben“. Schließlich rekrutieren sich die Kammern aus Zwangsmitgliedern. Die Wirtschaftsvertreter sollten sich statt dessen ins Gedächtnis zurückrufen, „wie parlamentarische Demokratie funktioniert“. In der Opposition „sollte immer die Alternative zur Regierung sitzen“. Eine große Koalition sei nur in absoluten Ausnahmefällen dem Wohl der Menschen, des Staates und der Demokratie zuträglich.

Obwohl jenseits eines rotschwarzen Bündnisses nur eine SPD-GAL-Koalition bleibt, mochte Pumm sich nicht eindeutig für rot- grün aussprechen. Denn die Mitgliedsgewerkschaften sind sich darüber nicht einig. Während etwa die traditionell konservative IG Bau und die Gewerkschaft der Polizei skeptisch sind, treten GEW und ÖTV offen für eine Regierungsbildung mit der GAL ein. „Wir haben vier verlorene Jahre hinter uns“, sagte ÖTV-Chef Wolfgang Fritsch. „Mit Rotgrün wäre sehr viel mehr möglich gewesen.“

Die Reform des öffentlichen Dienstes sei verschlafen worden. Insbesondere Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) sei eine „blanke Leerstelle“gewesen, so Fritsch. „Ein Innensenator ist auch Arbeitgeber“, und als solcher habe er kläglich versagt. In der Kritik an Wrocklage war man sich dann auch wieder einig mit der Polizeigewerkschaft. „Ihm fehlte das rechte Verhältnis zum Umgang mit der Polizei“, so Konrad Freiberg. Ratschläge von kompetenter Seite habe er nie annehmen können.

Inhaltlich weisen alle Gewerkschaften die Argumente von Handels- und Handwerkskammer scharf zurück. Daß SPD und CDU in der „Pflicht“stünden, ihren großen programmatischen Konsens in die Tat umzusetzen, hält Pumm für unsinnig. „Ich sehe keinen Konsens“, sagte er. Vielmehr bestehe die Gefahr, daß soziale Gerechtigkeit zur Utopie würde und „die Politik der Bonner Regierung auch in Hamburg einzieht“.

Insbesondere die Behauptung des Handwerkskammerchefs, Dieter Horchler, zwei Drittel der Arbeitslosen wollten gar nicht arbeiten, bringt den DGB-Chef in Rage. Zu „dieser Form von Diffamierung der Arbeitslosen“sei nur jemand fähig, der noch nie mit einem „Jahreseinkommen unter 20.000 Mark auskommen mußte“. Recht geben müsse er den Kammern allerdings darin, daß eine Politik, die sich nur an Minderheiten orientiert, das Vertrauen der Mehrheit verspielt. „Es ist gefährlich, sich ausschließlich einer Minderheit zuzuwenden“, so Pumm, zum Beispiel nur „den reichen Menschen“.

Die Wirtschaft müsse offenbar daran erinnert werden, daß die staatlichen Rahmenbedingungen nicht dem Zweck dienten, unternehmerische Erträge zu mehren. Trotz Gewinnen steige die Arbeitslosigkeit. Angesichts dieser Entkopplung von Wachstum und Beschäftigung „steht die Wirtschaft in der Verantwortung“.